Ingolstadt
Ein Mann mit Haltung

Christian Springer eröffnet die Kabaretttage Ingolstadt mit seinem Programm "Trotzdem"

16.01.2018 | Stand 02.12.2020, 16:57 Uhr

Untersuchungen in der Spaziergangswissenschaft: Christian Springer präsentiert sein Programm "Trotzdem" in der Neuen Welt. - Foto: Weinretter

Ingolstadt (DK) Wie steht es eigentlich um die Leitkultur der Deutschen, fragte sich der Münchner Kabarettist Christian Springer, der am Montagabend in der Neue Welt die 34. Ingolstädter Kabaretttage eröffnete. Dazu organisierte er einen kleinen Test. "Stehen Sie jetzt bitte auf", sagte er. Dann ließ er das Publikum in der bis auf den letzten Platz ausverkauften Kleinkunstbühne die Nationalhymne singen. Über die musikalische Qualität der Aufführung sollte man vielleicht nicht allzu viele Worte machen: Spätestens ab der dritten Zeile, war vom Text nicht mehr viel zu verstehen. Springer versuchte, höflich zu sein und sagte dann: "Gestern war's besser - und das war in Österreich."

Aber was hat dieses kerndeutsche Kulturgut, das Deutschlandlied, dessen dritte Strophe seit 1991 die deutsche Nationalhymne bildet, mit der von der CSU immer wieder geforderten "Leitkultur" zu tun? So gut wie gar nichts, klärte Springer das Publikum auf. Der Text stammt von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, wurde in Helgoland komponiert, das damals zu England gehörte. Die Musik vom Österreicher Joseph Haydn war ursprünglich zu Ehren des römisch-deutschen Kaisers Franz II. komponiert, der übrigens ein Italiener war. Die Melodie hat der deutsche Klassiker zudem einem kroatischen Liebeslied entliehen. Was soll daran deutsch sein, fragte sich Springer.

Aber die Auswahl des Liedes als Nationalhymne ist für ihn dennoch ein Glücksgriff. Es hätte auch viel schlimmer kommen können. Dann erinnert er daran, dass bei einem Staatsbesuch Adenauers in Chicago 1953 in Ermanglung einer gültigen deutschen Nationalhymne das kölnische Karnevalslied "Heidewitzka, Herr Kapitän" gespielt wurde. Unvorstellbar, wenn dieses alberne Lied zur Nationalhymne gekürt worden wäre.

Christian Springers Thema an diesem Abend war die "Leitkultur", war das genuin Deutsche, die sogenannten christlich-abendländischen Werte, die wir gegenüber den arabischen Migranten zu bewahren hätten. Aber Springer hinterfragt diese Idee, führt sie immer wieder humorvoll ad absurdum. Dabei gehört der Münchner nicht zu den Kabarettisten, die vordergründig das Publikum zum Lachen bringen wollen. Vielmehr will er aufklären, seine Kabarettsitzung ist definitiv mehr intelligentes Infotainment als geistloses Witzeln. Es geht um die Stimulation der Hirnwindungen durch verblüffende Fakten, die das eigene Weltbild zum Schwanken bringen, und nicht um das Reizen des Zwerchfells. Dass das Publikum dennoch fast ständig lacht, spricht umso mehr für diesen großartigen Kabarettisten.

Berührend ist vor allem, dass Christian Springer nicht nur gekonnt-komisch redet, sondern auch handelt - durch seinen Verein Orienthelfer, den er 2012 gegründet hat, um syrische Flüchtlinge vor allem im Libanon zu unterstützen. Und manchmal auch mit rohen Eiern - die Springer noch als ganz junger Mann bei einer Wahlkampfveranstaltung auf Franz Josef Strauß geworfen hat, wobei er aber das Ziel verfehlte. Dennoch wurde er wegen Körperverletzung zu 5000 Mark Strafzahlung verurteilt, obwohl die Anzeige verfristet war.

Am Ende erzählt Springer noch, was wirklich deutsche Kultur ausmacht: der Sonntagsspaziergang, ein Ritual, das nirgendwo sonst auf der Welt gepflegt würde, dem man an der Kasseler Gesamthochschule sogar wissenschaftlich, im Fach Promenadologie, auf den Grund gehen kann.

Und kommt dann auf die einzige Begegnung von Johann Wolfgang Goethe und Ludwig van Beethoven in Wien zu sprechen - natürlich bei einem Sonntagsspaziergang. Als den beiden die kaiserliche Familie entgegenkommt, weicht der Dichter unterwürfig sich verneigend aus. Beethoven jedoch geht dem Kaiser und seiner Entourage entgegen, bis der Herrscher ihm Platz macht.

Was kann man daraus lernen? Man muss im Leben öfter mal Haltung annehmen, sagt Christian Springer.