Ingolstadt
"Wir brauchen Dummheit, um was zu reden zu haben"

Kabaretttage: Till Reiners in der Neuen Welt über Klopapier und Alice Schwarzer

14.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:39 Uhr

Ausgefeilte Texte, ehrliche Worte: Ex-Slammer Till Reiners bei den Ingolstädter Kabaretttagen. - Foto: Rimmelspacher

Ingolstadt (DK) "Ich will mich jeden Tag verbessern. Also keine Angst, so schlecht wie heute wird es nie wieder." Mit diesen Worten begrüßt Till Reiners am Montagabend die etwa 90 Gäste in der Ingolstädter Neuen Welt. Der 31-jährige gebürtige Duisburger präsentiert bei den Kabaretttagen sein Programm "Auktion Mensch" - eine zumeist humorvolle, hin und wieder aber auch ernste Kritik am kapitalistischen System und der gesellschaftlichen Einfalt.

Das kann gern einmal trocken sein, ist es aber nicht. Nicht heute.

Kaufwahn und Überfluss, Meinungsarmut, pauschale Angst vor dem Fremden und Veränderung. Das sind die Kernthemen des Wahl-Berliners im Verlauf seines zweistündigen Exkurses. Dabei lässt Reiners aber nicht den erhobenen Zeigefinger kreisen, mimt nicht den allwissenden Bühnenprediger, sondern begibt sich alsbald auf eine Ebene mit seinem Publikum - indem er auch sich selbst und sein eigenes Handeln an den Pranger stellt. So berichtet er beispielsweise von einer vergangenen Diskussion mit Freunden. Darüber, mit welcher Aktion auf einer am betreffenden Tag stattfindenden Demo gegen Massentierhaltung wohl der bestmögliche Effekt zu erzielen sei. Das Gespräch jedoch verliert sich in Details, letztlich gibt es keine Einigung - und alle bleiben zu Hause. "Denen haben wir's wirklich gezeigt", sagt Reiners und lächelt bittersüß.

Schnell wird klar: Es sind weder die krachenden Pointen - die Reiners zwischendurch natürlich trotzdem liefert - noch die messerscharfe Analyse, mit denen der 31-Jährige überzeugt, sondern die Ehrlichkeit und Schlichtheit seiner Worte. "Wenn wir nur von Sachen sprechen würden, über die wir hundertprozentig Bescheid wissen, hätten wir bald nichts mehr zu erzählen", sagt er. "Wir brauchen Dummheit, damit wir was zu reden haben." Er selbst verbringe seine Tage ebenfalls "zu 90 Prozent mit normal dummen Tätigkeiten", sagt Reiners. "Damit habe ich, glaube ich, aber einen ganz guten Schnitt."

Warum er sich in seinem Alter überhaupt für Politik interessiere, werde er immer wieder gefragt, berichtet Reiners anschließend. Köstlich, wie er das Thema illustriert: "Ach so, Entschuldigung. Ich darf zwar seit 13 Jahren wählen. Aber was wäre denn ein gutes Alter, um sich für Politik zu interessieren? 40 Jahre, vielleicht" Und Reiners lässt einen derben Seitenhieb auf die 68er-Bewegung folgen. "Das waren Leute mit einer Lifestyle-Meinung. Heute macht Alice Schwarzer Werbung für die ,Bild'-Zeitung. Wie geht das denn, bitte"

Gänzlich ins Schwarze trifft Reiners beim Ingolstädter Publikum dennoch nicht immer. Mit einem bitterbösen und doch ziemlich brillanten Text über das Reichsein, beispielsweise. In diesen Momenten marschiert der 31-Jährige dann zum Pult, blättert durch einen Stapel Papier, sagt: "Ich sehe, das läuft nicht so gut, dann streiche ich das künftig raus." Und hat die Leute sofort wieder auf seiner Seite. So wie wenig später, als Reiners süffisant den Kapitalismus erklärt - und über Klopapier spricht: "Es gibt Tausende Sorten. Aber ich will Traube-Nuss, und das gibt's nicht. Was für ein Ärgernis."

Ohne Frage: Es ist ein etwas anderer Kabarettabend. Mit einem Protagonisten, der - wohl auch aufgrund seines Slam-Ursprungs - sehr nah am Skript agiert, dessen Stärke nicht das unverhofft Spontane ist. Der einen Plan hat, welcher dann auch funktionieren muss. Andererseits ist Reiners ein Meister der detaillierten Zweideutigkeit, einer, dessen Worte stets wohlgewählt sind. Vor allem aber ist Till Reiners eines: Er ist anders. Und das kann nur gut tun.