Ingolstadt
Kennedy first

05.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:15 Uhr

Ungebremste Spielfreude: Marcus Miller am Bass stand mit großer Band auf der Bühne im NH Hotel. Ruhigere Töne schlug Raul Midón mit seiner unverwechselbaren Stimme an. Schier nicht zu bremsen war der US-Gitarrist Mike Stern (von links). - Fotos: Woelke, Weinretter

Als Geheimtipp angekündigt hat Kennedy Administration mit der charismatischen Frontfrau bei der Jazzparty 1 ein mitreißendes Konzert gegeben. Gefeiert wurden auch Mike Stern, Dave Weckl, Marcus Miller und Raul Midan. Alles bei hoher Betriebstemperatur.

Ingolstadt (DK) "I'm your president for tonight!" Die, die das lautstark in den Raum Triva ruft, meint es irgendwie doppeldeutig und hintersinnig, gut gelaunt auf jeden Fall - und da sind ihr schon alle erlegen: Amerika, Trump, Kennedy? Was und wer auch immer. Nicht zu übersehen und zu überhören: Die Frau ohne Vorname und mit dem Namen des 35. Präsidenten der USA im Bandnamen ist die Entdeckung der Jazzparty 1, die Sensation, die am Freitagabend im NH Hotel ihren Musikkollegen Marcus Miller, Mike Stern und Raul Midan locker die Show stiehlt. Der als Geheimtipp erwartete Auftritt - vom künstlerischen Leiter der Ingolstädter Jazztage, Jan Rottau, "als wahnsinnige Künstlerin" angekündigt - wird zum umjubelten und ausgelassenen Super-Act, bei dem selbst Marcus Miller auf Stippvisite im Publikum ein paar Takte mitwippt.

Ms Kennedy ist die coole und charismatische Frontfrau der Formation Kennedy Administration, die zum ersten Mal auf Europa-Tournee auch in Ingolstadt haltmachen und Funk und Fun, Soul und Spaß miteinander verbinden. Ein Fest! Die in Michigan geborene und in Brooklyn lebende Sängerin, die vor allem im Groove, einem Club im Herzen des Greenwich Village in New York, auftrat, ist eine energiegeladene und mitreißende Person: großartige Stimme, großes Showtalent und Sendungsbewusststein - und riesengroße Brille. Im Sturm erobert sie auf extrem hochhackigen Schuhen spielend das Publikum, animiert zum Klatschen, Bewegen - auch ohne Mikrofon reicht ihre klangvolle Stimme bis in den letzten Winkel des Saals: "I wanna wake up every morning next to you" singen fast alle mit. Die Band, die eingespielt und nicht weniger mitreißend das Organ der Gruppe begleitet: Ondre J. Pivec, Keyboarder, musikalischer Leiter und Partner beim Songschreiben, Chelton Grey am Bass und Nat Townsley an den Drums. Musikalisch zeigen sie sich vielfältig und wandelbar: Soul, Jazz, nachdenkliche Balladen und ultimative Tanzsongs oder Remakes von Klassikern. "Let's Party", den Al-Green-Klassiker "Let's Stay Together" oder der "Victory Song".

Doch der Abend im vollen NH Hotel beginnt mit alten und guten Bekannten im zum Dancefloor umgebauten Restaurant mit Fusion Jazz und zwei Meistern ihres Instruments: Mike Stern und Dave Weckl stehen auf der Bühne, die Betriebstemperatur ist von Anfang an hoch. Der US-Amerikaner, der im vergangenen Jahr aufgrund eines Unfalls seinen Auftritt im Ingolstädter Diagonal absagen musste, holt diesen nun - so scheint es mit höherer Drehzahl und doppelter Energie - nach. Im kongenialen Spiel mit Dave Weckl, einer Ikone des Modern Drumming, der für sein facettenreiches und dynamisches Spiel verehrt wird, bringen sie den Raum zum Kochen. Mit Bassist Tom Kennedy und Saxofonist Bob Malach stehen dann auch vier Größen des Jazz auf der Bühne, die keinen Kontakt zum Publikum in Reichweite scheuen. Bemerkenswert der Sound des wunderbaren Bob Malach am Saxofon.

Die große Bühne braucht nachfolgend auch Marcus Miller, der Hexenmeister am Bass, der Großmeister des Slappings. Nicht unbedingt für sich und seine publikumsaffine Show, sondern wie gewohnt für die vielen, meist jungen, talentierten Bandmitglieder, denen der aus Brooklyn stammende Musiker jede Menge Raum gibt und denen die Zuhörer jede Menge Applaus spenden. Zu einem seltenen Zusammentreffen - die ungezwungene Stimmung der Jazzparty macht das möglich - kommt es, als Mike Stern auf die Bühne springt, schier nicht zu bremsen. Gemeinsam legen Miller und seine Band und Stern eine epische und mäandernde Version des The-Temptations-Klassikers "Papa Was A Rolling Stone" hin.

Ruhigere Töne schlägt abschließend im Raum Triva der Soul-Funk-Sänger Raul Midón an. Meist als "One-Man-Band" unterwegs - wenn er aus seiner Gitarre ein Orchester macht und mit seiner Stimme einen vollen Chor ertönen lässt oder auf einer seiner CDs mit wenigen Ausnahmen alle Instrumente selbst eingespielt hat -, begeistert der seit seiner frühen Kindheit erblindete Gitarren-Virtuose dieses Mal mit Begleitung: Billy Williams an den Drums und Romeir Mendez am Bass. Midón, der erst 2002 den Sprung zur eigenen Karriere wagte - nachdem er mit Diana Ross, Aretha Franklin oder den Bee Gees zusammengearbeitet oder als Backgroundsänger für andere Musiker tätig war -, ist ein Meister der unterschiedlichen Genres. Jazz und Soul, Pop und Latin, Rap oder Flamenco verschmelzen zu einem unverwechselbaren Sound. Midón zelebriert mit seiner unverwechselbaren Stimme und seinem feinen Humor jeden seiner Songs als einzigartiges Kunstwerk. Für die nächste CD, so erzählt er dem Publikum wissend lächelnd, werde er nur Liebeslieder einspielen. Denn der einzige Lovesong auf seinem neuen Album ist das meist geklickte Stück. Und während er seine Zuhörer weiter verzaubert, beendet Marcus Miller ein paar Meter weiter langsam seinen Auftritt. Der größte Fan ist weiblich, völlig aus dem Häuschen, kein bisschen müde - und ganz nah dran am Geschehen: Ms Kennedy, der Star der Party, die Königin der Nacht.