Ingolstadt
Feurige Töne, himmlische Klänge

05.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:15 Uhr

Wandelbar: Die koreanische Pianistin Younee spielte mal leichtfüßig, mal akkordreich, stets irgendwo zwischen Free-Classic und Impro-Jazz. - Foto: Weinretter

Ingolstadt (DK) Hochkarätig besetzt war auch die Jazzparty 2: Die Schlagzeuger Billy Cobham und Wolfgang Haffner, die Pianistin Younee und der Saxofonist Manu Dibango begeisterten. Eine Reise in die Galaxien des Jazz.

Die Bee Gees nannten es in einem ihrer Welthits einmal "Night Fever". Jenes Fieber, das die Nacht wie elektrisch auflädt, unmerklich Spannung aufbaut, die Körper bis in die Haarspitzen magnetisiert und bereit macht, Rhythmen und Beats aufzusaugen. Testlabor für alle jene, die diesem Phänomen nachspüren wollen, ist am Samstagabend wieder einmal die Jazzparty 2 im NH Hotel. Weltmusik und Jazz aus deutschen Landen, ungestüm aufjaulende Fusion-Phrasierungen und von Klassik inspirierte Klaviermalereien treffen fast unmittelbar aufeinander. Getrennt zwar nur von ein paar Zimmerwänden, inhaltlich in dem weiten Universum des Jazz aber Lichtjahre voneinander entfernt. Für die vielen Besucher ist der Wechsel zwischen diesen Welten mit nur ein paar Schritten machbar.

 

Startplatz für diese Reise in die Nacht und zu den Galaxien des Jazz ist das zum Konzertsaal umgestaltete Restaurant. Die Besucher stehen dicht an dicht, noch ehe Billy Cobham mit seinen Musikern zum Crosswinds-Project antritt. Der in Panama geborene Schlagzeuger hat einen ganz eigenen, kraftvoll-virtuosen Stil entwickelt. Mit Ernie Watts am Saxofon, dem Bassisten Tim Landers, Gitarrist Fareed Haque und Scott Tibbs am Keyboard zündet er die Lunte, um Jazz mit der rhythmischen Intensität des Funk und der Kraft der Rockmusik zu verschmelzen. In dieser chemischen Reaktion sprühen schon bald die Funken, und Ernie Watts bläst dazu sein Saxofon so orgiastisch, als wolle er alle Teufel aus der Hölle treiben.

Geradezu himmlische Klänge holt dagegen die Koreanerin Younee nur ein paar Schritte entfernt und etwas zeitversetzt aus dem Klavier. Auch ihr Publikum drängt sich im Saal Triva zunehmend dichter, ihr Sternenbild heißt Free-Classic und Impro-Jazz. Die zierliche junge Dame kommt aus dem Klassik-Genre, das wird schon nach den ersten Tastenschlägen klar. Dass sie aus den alten Meistern heraus ihre eigene Welt voller Fantasie und Kreativität entwickelt, ebenso. Ihre zartgliedrigen Finger täuschen Zerbrechlichkeit vor, und tatsächlich flirtet sie in den Anfangstakten mit leichtfüßigen Melodienfolgen. Doch mitten in diesem Seidengespinst hämmert sie brutal in die Kellertöne und wirbelt dunklen Staub auf, nur um wenig später die Fantasie mit sensiblem Tastenhauch wieder hoch fliegen zu lassen.

Die liebenswerte Lady aus Fernost erzählt zu allen ihren Kompositionen mit reizendem Akzent eine kleine Anekdote. Eigentlich könne sie gar nicht Fahrrad fahren und nur aus ihrer Vorstellung heraus erschafft sie einen Fahrradausflug in den Wald als farbenreiches Bilderbuch aus Klaviertönen. Ihrer Wahlheimat Ansbach widmet sie einen eigenen Blues, und auch die freie Fahrt auf deutschen Autobahnen verleitet Younee in einer Inspiration aus Rachmaninov zur Komposition "Speeding Instinct". Es ist ein heißer Höllentrip über die Tasten, und wäre Younee tatsächlich in einem Auto unterwegs, hätten sie die Polizisten alleine wegen ihrer hohen Plateauschuhe schon vom Lenkrad genommen. Die Pedale des Klaviers beherrscht sie aber auch mit diesen Zentimeterabsätzen unfallfrei.

Und so überholt sie den wuchtigen Rachmaninov und kommt mit ihrem schnittigen Fantasiegefährt als erste an die Ausfahrt. Das Durchatmen nach der Highspeed-Fahrt tut gut und so schlägt Younee eine Ballade vor. "About You" singt sie dazu als Eigenkomposition und wieder fliegt ihr der begeisterte Applaus zu. Für die zweite stürmisch geforderte Zugabe fordert sie ihr Publikum. "Haben Sie einen Vorschlag", fragt sie und nach kurzer Stille nennt sie ihre freie Improvisation einfach "Samstagnacht". Es ist Younee's traumhaft schöne Art, das Sandmännchen loszuschicken.

Doch nebenan im Restaurant denken Manu Dibango und seine Band noch lange nicht ans Schlafengehen. Jemand wie er, der die Musikgeschichte Afrikas mit seinem Saxofon mitgeschrieben hat, reißt noch einmal feurige Funken in die Nacht. Die Mischung aus Jazz, Funk, Soul, Hip-Hop, Reggae und afrikanischen Rhythmen setzt Wellen in Gang und bewegt die Leute wie in einem aufgewühlten Ozean.

Wolfgang Haffner und seine Band werfen im Saal "Triva" auch hierzu ihr Gegengewicht in die fein ausgetrimmte Waagschale. Der Schlagzeuger gehört zur Spitze der Drummer-Szene und mit Christopher Dell am Vibrafon, Christian Diener am Bass und dem Pianisten Roberto Di Gioia belegt er seine Extraklasse auch in diesem vergleichsweise kleinen Raum. Haffner hat Klänge aus seiner Wahlheimat Ibiza gesammelt und für die neue CD aufbereitet. Es sind pastellfarbene Klangkaskaden, die sanft ins Publikum fließen und mit dezenten Besenstrichen über die Felle angeschoben werden.

Doch Wolfgang Haffner und seine drei Begleiter sind wandlungsfähig, rütteln gleich danach wieder Urgewalten wach und hämmern den eigenen Beat. Das Publikum ist fachkundig und honoriert die Nuancenvielfalt. "Es ist fantastisch, hier zu spielen", freut sich Haffner und fesselt seine Fans mit einem mystischen Duett aus Piano und Drums ganz in der Faszination des "Bolero" von Maurice Ravel.