Ingolstadt
Jahrmarkt der Grausamkeiten

Wenn die Tiger Lillies auf "Macbeth" treffen, ergibt das ein wildes Spektakel Jubel für Knut Webers "Dreamtime" am Stadttheater Ingolstadt

10.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:05 Uhr

Viermal Macbeth: Jan Gebauer, Péter Polgár, Richard Putzinger und Enrico Spohn (von links) in "Dreamtime". Aus ihrem Albtraum aus Machthunger und Mord gibt es kein Entrinnen. - Foto: Klenk

Ingolstadt (DK) Unruhig zucken sie im Schlaf. Abwehrgesten. Ein Murmeln. Augenlider flattern. Da liegen sie. In Pyjamas und Kampfstiefeln. Vier Männer. Drei Frauen. Dunkle Augenhöhlen in kalkweißen Gesichtern. Wirre Haarsträhnen über Halbglatzen. Untote. Schlafende. Und sie gebären Ungeheuerliches. Geschichten von Machthunger und Mordgelüsten. Von Hexen und Königen. Von Aufstieg und Fall. Von Blut- und Festgelagen. Und von Angst. Angst zu begreifen, wozu der Mensch imstande ist.

"Dreamtime" heißt das furiose Theaterspektakel nach Motiven von William Shakespeares "Macbeth" mit Musik von den Tiger Lillies, das Knut Weber in einer neuen Fassung auf die Bühne des Stadttheaters Ingolstadt gebracht hat. Die Premiere am Freitagabend im Kleinen Haus wurde frenetisch gefeiert.

Denn diese Produktion ist wahrlich ein Gesamtkunstwerk. Lebt vom faszinierenden Mit- und Ineinander von Schauspiel und Musik, Raumidee und Videokunst, Maske und Kostüm, Licht und Soundeffekten. "Dreamtime" ist ein Nachtstück, eine düstere Reise durch schaurige Seelenlandschaften, ein Gaukelspiel aus Blut und noch mehr Blut. Denn es erzählt Macbeths Weg in sein Innerstes, seine Albträume.

Regisseur Knut Weber spaltet dabei die Figur des Macbeth auf - Jan Gebauer, Péter Polgár, Richard Putzinger und Enrico Spohn sind ein und dieselbe Person. Sprechen bisweilen chorisch, dienen einander als Stichwortgeber, wägen Sätze des anderen ab, führen sie weiter, streiten um Kronen, buhlen um Frauen, schlüpfen nebenbei auch in andere Rollen, sind Duncan, Banquo, Macduff. Und singen herzzerreißend (auch herzzerreißend komisch) von den grausamsten Grausamkeiten. Die weiblichen Parts übernehmen Sarah Horak, Renate Knollmann und Katharina Solzbacher: dreimal Lady Macbeth, die den zaudernden Gemahl befeuern, zu menschenmörderischer Wildheit drängen und schon mal falsche (Blut-)Spuren legen. Darüber hinaus sind sie die drei doppelzüngigen Unheilschwestern, die durch ihre Prophezeiung von Macht und Krone alles in Gang setzen.

Wer die Tiger Lillies um Marty Jacques kennt, der weiß, worauf er sich hier (musikalisch) einlässt: auf makabren Humor, auf schrägen Zirkus-Punk, auf eine morbide Mischung aus Weill und Vaudeville, auf süßlich klingklongende Moritaten voller Brutalität, auf bisweilen hysterische Nostalgie zu exzentrischer Instrumentierung. Und all das findet man in dieser Produktion auch. Dazu stehen Knut Weber sieben herrlich singende Schauspieler zur Verfügung (beeindruckend vor allem Enrico Spohns Falsett-Darbietungen), die nicht nur diesen skurrilen Tiger-Lillies-Stil mit Lust bedienen, sondern sich auch mit Grandezza in Shakespeares düster-poetischen Welten bewegen.

Auch wenn die Songs vom Titel gebenden "Dreamtime" über "Burn in Hell" und "Butcher" bis zu "The Smell of Blood" den zweistündigen Abend strukturieren und allesamt großartig interpretiert werden, so ist "Dreamtime" alles andere als eine bloße Nummernrevue. Erzählt wird "Macbeth" als Höllentrip durch die Nacht, rasend von einer Katastrophe zur nächsten, von Mord zu Mord: an König Duncan, an Banquo, an Macduffs Familie, bis schließlich Lady Macbeth dem Wahnsinn anheimfällt und Macbeth im Kampf mit Macduff sein Leben lässt.

Knut Weber inszeniert diese apokalyptische Nacht voller "Sex and Crime" mit dämonischem Witz und kühner Bildsprache. Die Papierbahnen, die noch zu Beginn die Bühne verdecken, werden zur Projektionsfläche, auf der die Hexen als computeranimierte Flammen erscheinen, werden fürs Schattentheater genutzt oder für Graffiti-Botschaften. Später gebrauchen die Ladys Macbeth sie als Spielmaterial, reißen sie von der Decke und geben den Blick frei auf ein kleines drehbares Bühnenpodest und auf die dreiköpfige Band (Jakob Dinkelacker, Matthias Flake und Christoph Schultheiß), die diese rumpelnde, säuselnde, anarchische Tiger-Lillies-Musik so erfinderisch umsetzt.

Faszinierend ist vor allem das Zusammenspiel all dieser künstlerisch kunstvollen Zutaten: Stefano di Buduos Schwarz-Weiß-Videos von schwebenden Dolchen und bluttropfenden Mündern, Susanne Hillers prachtvolle Kostüme aus schottischem Karo, Kampfstiefeln und Nachtvogelfedern. Und dazu die Akteure, die sich dem abgründigen Treiben im stetigen Rollenwechsel mit packender Energie und großer Spiellust hingeben. Höhepunkte sind sicherlich die Krönung Macbeths (Richard Putzinger und Sarah Horak mit Pappkrönchen im wallenden Gewand), die riesige Festtafel, an der alle vier Macbeth-Darsteller Banquos Geist halluzinieren, oder auch das zweite Treffen mit den Hexen. Das alles zeugt von überbordender Fantasie und einem packenden Zugriff auf den Stoff.

"Hell is empty and all the devils are here." Ein Shakespeare-Zitat aus dem "Sturm" hat Knut Weber an den Anfang seiner Produktion gestellt. Und er entlässt uns mit der Frage: Wie viel Nacht steckt in uns selbst? Großer Applaus.

Weitere Termine bis 30. Januar 2018 im Kleinen Haus. Kartentelefon (08 41) 30 54 72 00.