Ingolstadt
Im Dschungel

Wolfram Lotzs Hörspielstück "Die lächerliche Finsternis" feiert umjubelte Premiere in Ingolstadt

14.02.2016 | Stand 02.12.2020, 20:12 Uhr

Was kommt da im Dunkeln auf uns zu? Gefreiter Dorsch (Jörn Knolpe) und Hauptfeldwebel Pellner (Ralf Lichtenberg) schippern auf dem Fluss Hindukusch - und auch ihr Erfinder, der Autor und Regenmacher Wolfram Lotz (Enrico Spohn), weiß nicht, wie's weitergeht. - Foto: Olah

Ingolstadt (DK) Die Welt ist furchtbar kompliziert. Aber wir kennen uns trotzdem aus. Die somalischen Fischer zum Beispiel werden Piraten, weil die riesigen Fangschiffe des Westens den Einheimischen die Meere leer fischen. Wissen wir, da ist der aufgeklärte Mitteleuropäer durchaus selbstkritisch. Und das sagt ja auch der somalische Pirat vor Gericht. Aber dann erzählt Enrico Spohn eben auch, dass er Piraterie in Mogadischu studiert, mit einem Stipendium vom Studienwerk des islamischen Volkes, sehr guter Abschluss, Diplom. Wie ein deutscher Musterschüler, und schon ist unsere schöne Weltdeutung ein Trümmerhaufen.

Der grandiose Prolog eines ebenso grandiosen Enrico Spohn gibt einen Vorgeschmack darauf, was der Zuschauer bei Wolfram Lotz Erfolgsstück "Die lächerliche Finsternis" erwarten darf: ein maximale Verunsicherung, Umkehrung der Begriffe, Infragestellung der vermeintlichen Sicherheiten, mit denen wir auf die unübersichtliche Gegenwart blicken.

Das Grundmuster des Stückes ist bekannt: Lotz arbeitet mit Motiven aus Joseph Conrads Erzählung "Herz der Finsternis" und Francis Ford Coppolas Adaption in "Apocalypse Now". So machen sich auch bei Lotz zwei Soldaten, Hauptfeldwebel Pellner (Ralf Lichtenberg) und Gefreiter Dorsch (Jörn Knolpe), auf die Suche nach einem offenbar wahnsinnig gewordenen Deserteur. Die Bootsfahrt findet aber nicht im Kongo oder in Vietnam statt, sondern in einem imaginären Überall und Nirgendwo der globalen Krisen des 21. Jahrhunderts: Afghanistan, Somalia, Kosovo, Kongo, der Hindukusch ist ein Fluss, und der Dschungel wuchert überall.

Caro Thum (Regie) und Daina Kasperwitsch (Ausstattung) brauchen außer drei gut aufgelegten Schauspielern nicht viel, um die zunehmend "ver-rückte" Welt dieser Reise im Kleinen Haus in Ingolstadt zu zeigen: ein paar Kisten in Tarnfarben, ein altes, nicht aufgeblasenes Schlauchboot, im Hintergrund macht Enrico Spohn den Soundtrack mit Wasserflaschen, Blechschüsseln und Reispackungen - ursprünglich ist "Die lächerliche Finsternis" ein Hörspiel. Mit den wenigen Mitteln gelingt es Regie wie Schauspielern aber beeindruckend, den Mechanismus des Stücks zu zeigen. Nur kleine Verschiebungen der Perspektive, und die Welt sieht anders aus; die geläufigen gesellschaftlichen Diskurse werden vor einer anderen Folie gezeigt und erscheinen auf einmal hilflos und absurd; von der westlichen Politik und dem Dialog der Kulturen bleibt nur eine groteske Komödie; die Sprache, mit der wir uns das alles erklären, ist einzige aufgeblasene, leere Floskelsammlung.

Deutinger und Dorsch treffen auf den italienischen Soldaten, der den Einheimischen beibringen will, dass man Papier nicht auf den Boden, sondern in den Fluss schmeißt, und von Gerüchten weiß, im Wald lebten Eingeborene, die "Tieresser" seien. Ein Missionar will die muslimischen Frauen vom Zwang zur Verhüllung befreien, weil er ihnen lüstern auf den Hintern schauen will, ein Händler auf einem Kanu hat seine Familie verloren, weil er eine Markise an seinem Haus haben wollte. Ein sprechender Papagei mit Hang zu Philosophie wirkt dann schon gar nicht mehr sonderbar. Sehr nuanciert zeigen Lichtenberg und Kolpe, wie der schneidige Deutinger nachdenklich, der tumbe Dorsch fast weise wird. Schließlich finden sie auch Deutinger, und in der traumhaft-unwirklichen Absurdität, in der sie sich mittlerweile befinden, ist gar nicht mehr ungewöhnlich, was er sagt: Man führe Krieg, damit weniger Menschen sterben.

Das Stück hat da längst eine weitere Brechung hinter sich: Enrico Spohn tritt als Autor Wolfram Lotz auf, der mit seinen Figuren gemeinsam über dem Wahnsinn der Welt und der Frage, wie das Stück enden soll, verzweifelt. So ist "Die lächerliche Finsternis" auch ein kluges Stück darüber, wie das Theater der Forderung, politische und gesellschaftliche Themen aufzugreifen, "relevant" zu sein, heute nachkommen kann. Die Antwort gibt Lotz in seinem Konzept des "unmöglichen Theaters". Dieses tut im Grunde nicht mehr, als unsere Welt und den Alltag gerade so verzerrt zu spiegeln, dass das Surreale und Absurde in ihnen erkennbar wird. Das finstere Herz der Gegenwart ist nicht im Kongo, sondern überall. Um daran nicht zu verzweifeln, hilft nur Lachen. Das weiß Caro Thum. Gerade weil alles so schlimm ist, gibt es viel zu lachen. Auch das machen sie und das kleine Ensemble richtig.