Ingolstadt
"Ich lerne gerne von Dingen"

15.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:29 Uhr

Foto: DK

Ingolstadt (DK) Martin Fengel ist so etwas wie ein Tausendsassa, auch wenn er das Wort nicht mag. Der Fotograf und Illustrator mit seinem verblüffenden Blick auf das Alltägliche gestaltet eine Ausstellung im Ingolstädter Museum für Konkrete Kunst. Wir haben mit ihm über Schönheit, Tassen und Joggen an der Isar geredet.

 Tassen, Teller, Vasen, Gläser, elektrische Kleingeräte und vieles mehr: Das Ehepaar Inge und Wilfried Funke übergibt dem Museum für Konkrete Kunst (MKK) seit drei Jahren immer wieder große Konvolute seiner umfassenden Designsammlung. Gemeinsam mit dem Künstler Martin Fengel präsentiert und inszeniert das Museum nun Stücke aus den 1920er- bis 90er-Jahren in einer einzigartigen Ausstellung. Martin Fengel, der die Münchner U-Bahnstation Moosach mit auf die Kacheln projizierten Naturaufnahmen gestaltet hat, ist ein künstlerisches Multitalent, ein Um-die-Ecke-Denker, ein exakter Beobachter. Er fotografiert, ist Filmemacher, seine Werke sind in diversen Museen vertreten. Er illustriert die Kolumnen von Harald Martenstein im "Zeit"-Magazin, dreht Musikclips und lehrt an der Freien Universität Bozen. Wie der 1964 in München geborene Künstler seinen Alltag gestaltet, was ihn froh macht und was er ästhetisch gar nicht aushält, hat er uns im Café Wiedamann in Ingolstadt erzählt. Ein nostalgischer Ort mit allerlei Dingen aus vergangenen Zeiten.

 

Herr Fengel, haben Sie viele Tassen im Schrank oder eine Lieblingstasse?

Martin Fengel: Ich besitze etwa fünf Tassen, also wir. Ich habe ja auch eine Frau. Also, wir haben zwei Lieblingstassen. Da ist eine Zeichnung von Wilhelm Busch drauf. Der Zappelphilipp. Sie stammen aus einer Busch-Ausstellung im Museum Würth in Schwäbisch Hall. Davor hatte ich andere Lieblingstassen. Die verwende ich jetzt nur, wenn die anderen noch nicht gespült sind.

 

Sie würden jetzt aber nicht ein ganzes Service kaufen?

Fengel: Nein. Aber wir waren vor zwei Jahren in Japan, wo ja viel Wert auf das Aussehen der Dinge gelegt wird. Ich habe mich dort in diese feinen Schalen verliebt. Und manchmal, wenn ich Geld und Zeit habe, dann kaufe ich mir eine Schale dazu. Das hört sich jetzt so an, als würde ich sammeln. Ich bin aber alles - nur kein Sammler.

 

Und Platten?

Fengel: Doch, doch. Ich hatte eine große Schallplattensammlung. Aber wir haben auch Katzen. Und irgendwann kam ich nach Hause, und da hatten die Katzen plötzlich die Cover aufgerissen. Das war ein Riesenverlust. Ich wusste nicht, ob ich jetzt sauer auf die Katzen sein sollte - oder auf mich, weil ich die Platten nicht zwei Regale höher gestellt habe. Nun stehen sie auf jeden Fall im Keller.

 

Was fasziniert Sie an der Sammlung Funke?

Fengel: Es gab gleich eine große Liebe zu den Dingen. Da sind viele Stücke, die mir auf eine ganz angenehme Art und Weise familiär und bekannt vorkamen, weil sie aus den 60er-Jahren stammen. Manches hatten wir zu Hause, und manches kann man bei eBay kaufen. Es sind Dinge, die man visuell erlebt hat. Und nun taucht man ein in diese Form- und Farbwelt der vertrauten Dinge.

 

Genau genommen ist es so etwas wie eine Doppelausstellung und doch eine, die nur in dieser Bezugnahme funktioniert. Was hat Sie an der Idee gereizt?

Fengel: Ich fand die Idee wahnsinnig schön, mit etwas schon Existierendem zu arbeiten. Das mache ich auch, wenn ich die Martenstein-Zeichnungen für das "Zeit"-Magazin bekomme. Da muss ich auch einen Kommentar abgeben. Manchmal möchte ich den Text etwas entschärfen. Manchmal habe ich Angst, dass ich eine Meinung, die ich gar nicht vertrete, mit den Illustrationen verniedliche. Kunst ist ja häufig ein Kommentar zur Zeit, zu einem bestehenden Problem. Die Tassen aus der Sammlung Funke hier und jetzt sind aber kein Problem. Es geht vielmehr um die Frage, wie werden Dinge dar- und hergestellt? Wie nehmen wir sie wahr? Und was machen Dinge mit uns?

 

Es geht in Ihren Arbeiten oft um den genauen, den etwas anderen Blick auf die Dinge, auf unseren Alltag.

Fengel: Beim Geschirr etwa geht es darum, dass der Kaffee, den wir jetzt aus der Porzellantasse trinken, aus einem Pappbecher anders schmeckt. Die Dinge, das Design, machen etwas mit uns. Ich finde es auch beglückend, wenn ich von Objekten, von Dingen etwas lernen kann. Ich habe großen Respekt vor Designern, vor Handwerkern. Wobei sich vieles wandelt. Warum etwa sehen alle Autos so bescheiden aus? Weil sie alle am Computer entworfen sind? Früher wurde modelliert. Und man fühlte sich den Dingen damit auch näher. Oder dieser Raum hier mit den wunderbaren Sofas, der Durchreiche, der Hutablage. So etwas wird es irgendwann einmal nicht mehr geben. Weil es andere Materialien gibt. Weil es viel zu teuer ist, das alles von Hand herzustellen. Ich bin ja auch glücklich, dass ich in einer analogen Welt groß geworden bin. Weil ich es mag, Sachen anzufassen. Ich mag Stifte, ich mag Spitzer, ich mag Papier, ich finde Hefte schön, ich finde Bücher schön.

 

Verraten Dinge, mit denen wir uns umgeben, etwas über uns?

Fengel: Man darf Menschen nicht danach beurteilen. Aber die Dinge erzählen natürlich viel. Aber wir beschränken uns mit einer Wertung, einer Bewertung. Es gibt Menschen, bei denen alles perfekt sitzt, aber sie sind kreuzlangweilig. Oder das Thema Schönheit: Sie wird ja auch erst dann schön, wenn sie gebrochen wird.

 

Was halten Sie ästhetisch gar nicht aus?

Fengel: langes Schweigen.

 

Entschuldigung?

Fengel: Ich denke gerade nach. Die Diddelmaus. Und ich mag keine Sachen, die lieblos hergestellt sind. Wie Massenware, eine Anhäufung von Schrott aus China. Ich kann nicht verstehen, wie man Kultur durch Ein-Euro-Dinge ersetzt. Sie werden von Kindern hergestellt, es wird Müll produziert und die Umwelt zerstört. Und Deko, so Hinstellblödsinn, kann ich nicht ausstehen. Auch wenn es schöne Hinstellsachen gibt. Ich verstehe auch nicht, warum ich mir für fünf Euro ein T-Shirt kaufen soll, auf dem "Punkrock" steht, und vor dem Supermarkt hocken die Punker und betteln um Geld. Das ist absurd.

 

Sind Sie ein Tausendsassa?

Fengel: Ich finde, der Begriff klingt, als ob man nichts gescheit macht.

 

Ist Multitalent besser?

Fengel: Es gibt so viele Dinge, die ich nicht kann. Ich kann zum Beispiel kein Handwerk. Aber irgendetwas haben mir meine Eltern oder der liebe Gott geschenkt. Vielleicht ist es auch der Trick, dass ich nichts verspreche, was ich nicht halten kann. Manchmal mache ich ja eine Zeichnung extra hässlich, weil ich sie zu schön finde oder weil sie zu gefällig aussieht.

 

Haben Sie Orte der Inspiration?

Fengel: Nein. Aber ich gehe morgens immer laufen. An der Isar entlang, die eine besondere Kraft hat. Eine Stunde die Natur sehen ist das Schönste am Tag. Ich jogge ganz gemütlich und ohne Musik. Ich sehe Eichhörnchen, höre den Vögeln zu. Das trägt eine gute Laune mit sich. Das ist so eine Art Frischluftdroge. Man sieht aber auch Leute, die das ganz verbissen machen. Mit Smartphone und Kopfhörern.

 

Sie sind also kein Getriebener?

Fengel: Nein, ich bin mit meinen Eltern oft ins Allgäu gefahren, da war viel Natur. Sie will nichts von einem, ist einfach da für uns und schenkt einem irgendetwas. Aber wir machen sie kaputt.

 

Können Sie auch faul sein?

Fengel: Ich finde faul sein großartig. Aber ich denke, dass es bei Künstlern Muße heißt. Ich finde, auch Ratlosigkeit kann ein Quell der Freude sein. Aber irgendetwas macht man immer. Etwa auf dem Telefon herumdrücken, während man wartet. Manchmal lasse ich es ganz bewusst sein und schaue stattdessen die Leute an. Oder ich schaue nur vor mich hin und denke: Was ist gerade? Wer bin ich gerade? Was passiert gerade in meinem Leben?

 

Das Gespräch führte Katrin Fehr.