Ingolstadt
Heimathafen an der Schlosslände

Konrad Kulke war schon Bühnenbildner im Behelfstheater in der Proviantstraße und kennt das Stadttheater wie kaum ein anderer

21.01.2016 | Stand 02.12.2020, 20:17 Uhr

Eine Kette "glücklicher Zufälle" führte den gebürtigen Berliner Konrad Kulke nach Ingolstadt. Nach vielen Jahren malt er wieder. - Foto: Mattick

Ingolstadt (DK) Ein Anfang und ein Ende. Vor 50 Jahren wurde das Stadttheater Ingolstadt eröffnet. Und genau an diesem Tag reichte Konrad Kulke seine Kündigung ein. Dabei hatte der Bühnenbildner, der zuvor in dem kleinen Behelfstheater in der Proviantstraße seine Kreativität in 15 Bühnenbildern in der nur sieben Monate dauernden Spielzeit unter Beweis gestellt hatte, auf dieses Theater hingefiebert. Auf die Möglichkeiten, die die Architektur Hardt-Walther Hämers, die schiere Bühnengröße, die innovative Technik versprach. "Die Architektur hat mir sehr gut gefallen. Hämers Präzision. Die Offenheit der Glasfassaden. Diese Foyerlandschaft. Der Zuschauerraum. Die Portalbreite. Die Konzentration auf die Bühne."

Viel Zeit hatte Konrad Kulke damals auf der Baustelle verbracht, so neugierig, wie er heute noch ist mit mittlerweile 76 Jahren, und den Kopf voller Pläne. Doch als das Haus erst mal bezogen war und das neue Leitungsteam seine Arbeit aufgenommen hatte, kam die Ernüchterung. "Es war total chaotisch", erinnert sich Kulke. Er bewarb sich in Münster und als das Telegramm mit der Zusage eintraf, schrieb er seine Kündigung. Er ging "schweren Herzens", denn schon in seinem kleinen Zimmer im alten Stadtmauerturm hatte sich Ingolstadt nach Heimat angefühlt.

"Eigentlich bin ich nur aus Ingolstadt weggegangen, um mir einen Intendanten zu suchen, mit dem ich zurückkehren konnte", sagt er heute. Er fand ihn in Ernst Seiltgen, mit dem er in Tübingen zusammentraf und der ihn später nach Oberhausen holte. 1973 kehrte Konrad Kulke dann nach Ingolstadt zurück. Mit Ernst Seiltgen. "Obwohl der eigentlich nicht wollte, weil er sagte: Der Strauß in München und der Bischof in Eichstätt - da kann ich nicht mein Theater machen", erinnert sich Kulke. Er kam doch. Und in Ingolstadt brach eine neue Theaterära an. Bis 1995 dauerte die Intendanz Seiltgens. Danach leitete Wolfram Krempel bis 2001 das Haus. Ihm folgte Peter Rein. 2004 ging Konrad Kulke in den Ruhestand. Nach 31 Jahren als Ausstattungsleiter wurde ihm die Ehrenmitgliedschaft des Theaters Ingolstadt verliehen. Mit welchen Privilegien das verbunden ist? "Man bekommt die Monatsspielpläne und für alle Stücke Theaterkarten." Konrad Kulke lacht. "Und im Deutschen Bühnen-Almanach stehen die Ehrenmitglieder noch vor den Intendanten." Man muss mitlachen. Denn wer Konrad Kulke kennt, der weiß, dass ihm Eitelkeit zutiefst fremd ist. Ernst Seiltgen hat einmal über ihn gesagt, dass ihm das Chef sein schon immer schwer gefallen sei. Ganz einfach, weil er das Theater stets als Teamarbeit verstanden hat. Und oft im Malersaal bis in die Nacht hinein mitgemalt hat. Er liebte und lebte seinen Beruf. Aber er wollte nicht Karriere machen. Ingolstadt reichte ihm. Die Möglichkeiten, die ihm das Theater bot. Die Stadt an sich. Die kurzen Wege. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das Atelier im alten Stadtbauernhof in der Griesbadgasse.

Der gebürtige Berliner, der sein Architekturstudium abgebrochen hatte, um an der Wiener Kunstakademie bei Casper Neher Bühnenbild zu studieren und später an den Münchner Kammerspielen unter Fritz Kortner arbeitete, sagt von sich selbst: "Ich bin kein wirklicher Großstadtmensch. Auch wenn ich gern mal nach München oder Berlin fahre - Ingolstadt ist mir gerade recht." In München hatte er übrigens auch Ute kennengelernt, die damals als Studentin Theaterwissenschaften belegt hatte. Für ihn war es Liebe auf den ersten Blick. Dieses Jahr feiern beide Goldene Hochzeit.

Und immer noch fahren sie jedes Jahr mit dem Bauwagen in den Urlaub. "Aber jedes Jahr einen Tag weniger", sagt Konrad Kulke. Es ist kein komfortables Reisen. Der Bauwagen steht im Schuppen des Anwesens in Meilenhofen. Dort, wo die Kulkes ein altes Jurahaus bewohnen. Unterm Dach ist Kulkes Atelier, in dem jeder Zentimeter ausgenutzt ist. Wer sich nicht vorsieht, stößt sich den Kopf am Regal mit den Reiseführern. Bühnenbildmodelle. Zeichnungen, die weit mehr sind als Skizzen, sondern mit viele Liebe zum Detail bis zur Mausefalle ausgestaltet. Kunstvolles. Waghalsiges. Verspieltes. Figurinen. Tagebücher. Kalendarien. Fotos. In großen, blauen Mappen geordnet die Arbeiten aus verschiedenen Städten. Vor Ingolstadt. Nach Ingolstadt. Auch während seiner Tätigkeit am Stadttheater Ingolstadt hat Kulke an anderen Häusern gastiert. Drei Stücke pro Spielzeit - neben seiner Arbeit. "Das war für mich Sport", sagt er. In den vergangenen elf Jahren hat er noch etwa zwei Produktionen pro Jahr gemacht. Augsburg, Dortmund, Nürnberg, Braunschweig, Linz, Regensburg, Esslingen, Stuttgart. Vor allem das alte Schauspielhaus Stuttgart liebte er. "Da durfte ich Sachen machen, die sonst nirgends erlaubt waren. Feuer auf der Bühne - mit Gasflasche hinter der Kulisse. Oder 3000 Liter Wasser aus dem Schnürboden stürzen lassen."

Konrad Kulke ist ganz in seinem Element. Er liebt Bewegung auf der Bühne. Unmögliches möglich machen. Technische Raffinessen. Ein Drache über dem Turm Baur (Jwegeni Schwarz €™ "Drache"). Eine riesenhafte bespielbare Uniform (Bert Brechts "Schweyk"). Jetzt hat er ganz damit aufgehört. Er mag den Termindruck nicht mehr. Und auch nicht das ständige Unterwegssein.

Stattdessen hat Konrad Kulke wieder angefangen zu malen. Der Weg zum Dachboden ist gesäumt mit alten Theaterplakaten, Modellen - und Bildern. Für ihn selbst ist das ein Abenteuer. Ähnlich beglückend wie das Theater.

Denn nach wie vor steckt Konrad Kulke voller Theatergeschichten. Etwa die, als er im "Schweyk" eine kleine Rolle übernahm - einen SS-Mann. Wenn Schülervorstellungen waren, hatte er das Problem, dass kaum Zeit blieb, sich umzuziehen, bevor er seine Tochter aus dem Kindergarten abholte. Und so ging er einfach im Kostüm. Was sich da wohl die Leute dachten? Oder über den ehemaligen technischen Leiter, der in einer Wohnung im Theater wohnte, der leidenschaftlicher Jäger war und bisweilen mit Hund und Gewehr auf der Bühne auftauchte. "Er hatte die Tendenz, als erstes, wenn man ein Bühnenbildmodell auspackte, zu sagen: Geht nicht!", erzählt Kulke. Oder die abenteuerlichen Fahrten mit dem alten DKW, wenn mal schnell Bühnenbildteile durch die Stadt transportiert werden mussten.

Jetzt will er Zeit haben für die Familie, für die Enkel. Kulkes Kinder haben übrigens ganz andere Berufswege gewählt. Die Tochter ist Fotografin, der Sohn ist Stadtarchivar in Kelheim. "Ich finde das immer besser, wenn die Kinder etwas anderes machen", sagt Konrad Kulke. "Denn wer in die Fußstapfen der anderen tritt, hinterlässt keine eigenen Spuren."