Ingolstadt
Hauptsache Ruhe

Jubel für "Biedermann und die Brandstifter" im Kleinen Haus

15.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:21 Uhr

Blind und taub für die Katastrophe: Biedermann (Ulrich Kielhorn) biedert sich bei den Brandstiftern (Olaf Danner, links) an. - Foto: Olah

Ingolstadt (DK) Die Bedrohung ist längst da. Bevor der Chor warnend seine Stimme erhebt, sieht man sie schon - die Benzinfässer auf Biedermanns Dachboden. Zehn blaue Fässer, die den Zuschauer in jeder Minute daran erinnern, wie dieses Stück enden wird. Mit einem Weltenbrand - entfacht aus Benzin und Dummheit. Und der Erkenntnis, dass auch diese Katastrophe nichts ändern wird. Max Frischs Drama "Biedermann und die Brandstifter" von 1957 ist längst ein Schulbuchklassiker und wird derzeit wieder gern gespielt auf deutschen Bühnen - als Kommentar auf die aktuelle politische Lage. Ganz in diesem Sinne eröffnete das Stadttheater Ingolstadt mit dem Stück am Samstagabend die Saison im Kleinen Haus.

Dabei treibt Regisseurin Mona-Julia Sabaschus mit dem Entsetzen Scherz. Schließlich - so erklärt es einer der Brandstifter im Stück - ist Scherz "die drittbeste Tarnung. Die zweitbeste: Sentimentalität ... Aber die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Die glaubt niemand." Die radikal gekürzte und rasant-komische Fassung der Regisseurin wurde vom Publikum nach knapp einer Stunde genauso gefeiert wie die hervorragenden Schauspieler.

Und darum geht's: Im Städtchen treiben Brandstifter ihr Unwesen. Während Haarwasserfabrikant Gottlieb Biedermann sich darüber noch echauffiert, wird ein gewisser Josef Schmitz bei ihm vorstellig, appelliert an seine Menschlichkeit und verschafft sich durch Dreistigkeit und Schmeichelei Zutritt zum Haus der Biedermanns. Erst geht es um ein Schlückchen Wein, dann um ein Bett für die Nacht und schließlich nistet sich Schmitz mitsamt seinem Kumpan Eisenring auf dem Dachboden der Biedermanns ein, wo beide ihr zündelndes Geschäft betreiben. Und Biedermann? Will die Katastrophe nicht kommen sehen. "Biedert" sich an. Müht sich ab, die Brandstifter zu Freunden zu machen - und überreicht ihnen am Ende auch noch das Feuerzeug. Sturheit bis zum Inferno.

Was für ein Bild: Ulrich Kielhorn als Biedermann schwitzend und faselnd in Feinrippunterwäsche an der gedeckten Tafel bei quälendem Smalltalk. Daneben Victoria Voss als seine Frau Babette in herrlich exaltierter Überforderung, gefangen in dem Kranz, der für die Beerdigung eines Mitarbeiters bestellt war (den Biedermann in den Selbstmord getrieben hat), aber nun zum letzten Gruß für Biedermann selbst wird. Oben raucht's und unten sitzen die beiden Brandstifter, die hier zwar gepflegt mit geputzten Schuhen und guten Manieren auftreten, aber umso bedrohlicher wirken.

Schmitz und Eisenring sind bei Mona-Julia Sabaschus Psychopathen in Rautenpullunder und Krawatte, unberechenbare Manipulatoren, die sich mit Generosität und Freundlichkeit tarnen. Paraderollen für Matthias Zajgier und Olaf Danner, die beide ihre Rollen sehr präzise und en détail zu gestalten vermögen und hier mit behänder Leichtigkeit und Lust am Spiel im Spiel ihre Aufgaben meistern. Diese Brandstifter - das machen sie klar - sind gefährlich. Schamlos. Gewaltbereit. Meister der Demagogie. Schon beim ersten Auftritt von Matthias Zajgier als Obdachloser Schmitz kehrt sich blitzartig das Mächteverhältnis um. Biedermann ist nur mehr Bittsteller im eigenen Haus. Einer, der nur seine Ruhe will. Ulrich Kielhorn spielt das exzellent. Interessant ist hier aber vor allem Anna, das Dienstmädchen. Denn Mira Fajfer ist zum einen als Chorführerin mahnende Instanz, sagt den drohenden Untergang voraus, zum anderen lässt sie sich als Angestellte im Hause Biedermann mit den Brandstiftern ein - und sieht diesem Untergang boshaft lächelnd zu.

Mona-Julia Sabaschus vermeidet Naturalismus, setzt auf Abstraktion und Überzeichnung - und hat sich von Steven Koop ein zweigeschossiges Puppenhaus ins Kleine Haus bauen lassen. Unten das Wohnzimmer der Biedermanns mit großgemusterten Tapeten passend zur kleinkarierten Gesinnung, oben der aufgerissene Dachstuhl. Hier wie dort trifft man auf den Chor, schwarz gewandet, mit ernsten Mienen. Den Chor mit Kindern zu besetzen verschärft die Brisanz: Schließlich ist es ihre Welt, ihre Zukunft, die hier verspielt wird - durch Phlegma, Unvermögen, Ignoranz.

Das Nachspiel in der Hölle bleibt den Biedermanns erspart. Wir wissen es längst: Die Hölle, das sind wir selbst. Wie viel Biedermann steckt in jedem von uns, fragt die Inszenierung. Es darf dabei gelacht werden.

Vorstellungen bis 20. November, Kartentelefon (08 41) 30 54 72 00.