Ingolstadt
Harte Arbeit am Genie

31.07.2015 | Stand 02.12.2020, 20:58 Uhr

Expressiv: Sopranistin Yeree Suh und die Georgier unter Ruben Gazarian - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Ruben Gazarian meint es ernst. Vielleicht sogar manchmal ein bisschen zu ernst - etwa wenn es um Wolfgang Amadeus Mozart geht. Dem Klassiker hat er einen ganzen Abend gewidmet unter dem Titel „Mozarts Sommernachtstraum“.

Ein Konzert, das eigentlich im Turm Baur hätte stattfinden sollen, das dann aber wegen kühler Witterung in den Ingolstädter Festsaal verlegt wird. Gazarian glaubt, sein Verhältnis zu dem Wiener Klassiker auch verbal vermitteln zu müssen. Vor dem Beginn der zweiten Konzerthälfte erzählt er, dass es ihm ein sehr persönliches Anliegen war, diesen Abend zu gestalten. Dass sich die Beschäftigung mit Mozart wie ein roter Faden durch sein Leben ziehe, dass er, so oft er sich mit dessen Werken beschäftige, immer wieder etwas Neues entdecke und staune. Und wie wichtig es ihm sei, gerade die „Jupiter-Sinfonie“ zu dirigieren. „Wenn Mozarts Werk ein Gebirge wäre, dann wäre diese Sinfonie und besonders der Schlusssatz ganz sicher der Mount Everest“.

Keine Frage: Gazarians Mozart-Verständnis ist von religiöser Ehrfurcht geprägt. Das ist manchmal keine gute Voraussetzung, sich einem Genie zu nähern. Überhaupt ist der Zeitpunkt, Mozarts „Jupiter-Sinfonie“ aufzuführen, nicht günstig. Denn noch hat man sehr gut die fulminante Darstellung des Dirigenten Andrés Orozco-Estrada zum Abschluss der Sommerkonzerte im Ohr. Der Kolumbianer arbeitete unter hervorragenden Bedingungen. Das etwas größer besetzte Mozarteum-Orchester Salzburg hat verglichen mit dem Georgischen Kammerorchester (GKO) einen saftigeren Klang, perfektere Bläser, akkuratere Streicher. Und Orozco-Estrada, auch wenn er ähnliche Tempi wählte, hat einen anderen Zugang zur Sinfonie. Während das Mozarteum-Orchester durch die Partitur mit Leichtigkeit tänzelt, hat man es beim GKO mit harter Arbeit zu tun. Um Spaß an der Musik scheint es da nicht immer zu gehen. Der tänzelnde Duktus der Salzburger fügt alle Konflikte der Partitur zusammen. Beeindruckend ist allein schon, wie Orozco-Estrada das erste Thema im Kopfsatz angeht: Das stürmische Triolenmotiv und die darauf folgende leise Vorhaltsfigur scheint er wie eine ununterbrochene Phrase zu dirigieren, während Gazarian hier die Pause zwischen den Gedanken betont und zweimal neu ansetzt. Der musikalische Fluss wird dadurch gebremst. Der urmusikantische Orozco-Estrada interpretiert die Sinfonie so, wie man es kaum lernen kann, geradezu mit magischer Aura.

Aber: Die Eleganz, die spielerische Leichtigkeit des Kolumbianers kann auch oberflächlich wirken. Bereits im langsamen Satz erreicht Gazarian Momente voller Tiefsinn, gerade weil er Augenblicke des Innehaltens einbaut. Und der Schlusssatz gelingt den Georgiern vielleicht sogar noch bewegender als dem Mozarteum-Orchester. Auch Gazarian dirigiert, als hätte er am liebsten zehn Arme zur Verfügung. Aber er betont eher die sinfonischen Elemente. Wie ein Feuerwerk lässt er das Orchester aufjubeln, die Pauken mit Lust knallen, die Streicher schwelgen. Gerade weil nicht alles wie aus einem Guss zu bestehen scheint, weil er vor dem Schluss die Generalpause ungeheuer ausdehnt, bekommt dieser Satz mehr Gewicht als bei den Salzburgern. Gazarian geht an die Grenze des Möglichen, er bringt Überschwang, Ekstase in die Musik. Und er verausgabt sich total, weil er weiß, dass diese Musik so gewaltig ist, dass man als Musiker bis zum Äußersten gehen kann und dieser Komposition doch noch nicht gewachsen ist. Eine Haltung, die den größten Respekt verdient.

Sehr ernsthaft geht Gazarian am Anfang des Abends auch die „Linzer Sinfonie“ an. Insgesamt ergibt sich ein ähnliches Bild wie bei der „Jupiter-Sinfonie“. Am besten gelingt der Schlusssatz Presto. Hier entwickeln die Georgier ungeahnten Spielwitz.

Einen hervorragenden Eindruck hinterlässt auch die Kantate „Exsultate jubilate“ des erst 17-jährigen Mozarts – und da besonders wegen der vorzüglichen Sopranistin Yeree Suh. Ihre Stimme hat einen so perfekten instrumentalen Charakter, dass sie sich ideal in den durchaus komplexen orchestralen Zusammenhang einfügt. Und Suh sprüht vor musikantischer Liebenswürdigkeit, Ausdruckskraft, Expressivität, Koloraturseligkeit, wenn sie der heiligen Maria huldigt und am Ende „Alleluja“ singt. Ein Auftritt zum Jubeln.