Ingolstadt
Große Party auf dem Parnass

Hille Perl und das Ensemble Amarcord bestreiten das vielleicht ungewöhnlichste Konzert dieser Konzertvereinssaison in Ingolstadt

01.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:52 Uhr

Die Gambistin Hille Perl wurde als Interpretin von Musik des 17. und 18. Jahrhunderts europaweit bekannt. In Ingolstadt trat sie mit dem Gesangsensemble Amarcord auf und begeisterte das Publikum im Festsaal. - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Vor langer Zeit, bevor die Violine diese Rolle frech usurpierte, war die Viola da Gamba die unbestrittene Königin der Streichinstrumente gewesen. Still und einsam, wie in Trauer gewandet, thront sie auf der Bühne des Ingolstädter Festsaals und verströmt jene silbrigen, zauberischen Töne, für die man sie einst verehrte.

Doch dann plötzlich ein lauter Schlag von hinten: Es ist die Trommel, die nun in feierlicher Prozession acht Sänger und Musikanten zur Bühne geleitet, wo sie sich um die Viola da Gamba gruppieren: Das Fest kann beginnen ...

Hille Perl, die neben Jordi Savall die Gambe aus ihrem Dornröschenschlaf befreit hat, macht auch immer wieder mit neuen Ideen, überraschenden Interpretationen und besonderen Projekten auf sich aufmerksam - und dies war sicher das ungewöhnlichste Konzert dieser Konzertvereinssaison.

Im Mittelpunkt stand eine sogenannte "Madrigalkomödie", eine frühe Form des Musiktheaters, die heute kaum mehr aufgeführt wird. Denn die mehrstimmigen Sätze lassen sich szenisch schwer umsetzen: Man ist aufgefordert "zu lauschen anstatt zu gucken" - auf dass das Theater im Kopf stattfinde. Doch wie soll man der Handlung folgen, wenn die Dialoge chorisch und in italienischen Dialekten vorüberrauschen? Das Ensemble Amarcord überzeugt in "L'Amfiparnaso" (1597) von Orazio Vecchi mit einer guten Lösung: Eine liebevoll ausgearbeitete Moderation erklärt die Handlung, transportiert aber auch die augenzwinkernde Komik und Ironie der Musik selbst, die auf subtile Weise unsere männlich-weiblichen Schwächen bloßlegt. Zudem gelingt es den fünf exzellenten Sängern, die Figuren der Commedia dell'arte durch Stimmklang und Interpretation doch sehr stark herauszuarbeiten. Da erwachen wirklich zum Leben: der liebeskranke Lucio, die kokettierende Isabella, der ebenfalls verliebte, aber grob gestrickte spanische Capitan, der reiche Venezianer Pantalone, der glaubt, alle Fäden in der Hand zu haben - und weitere babylonisch durcheinander singende Figuren. Noch mehr Farbe, Plastizität und szenische Präsenz erhalten die rein vokal überlieferten Stücke durch die Begleitung von Hille Perl und ihrem erlesenen Ensemble. Hier ist unbedingt auch Michael Metzler zu nennen, der unglaublich virtuos mit allerlei Schlagwerkzeugen und Klängen jongliert und dabei auch in der Komödie besondere Akzente setzt.

Die dazwischen eingeschobenen Stücke konnte man als Festmusik zu der dort statthabenden Hochzeit hören, aber auch als Zeitreise durch die Musik der Renaissance und des Frühbarocks. All die lustigen Lieder, kunstvollen Variationen und bewegten Tänze lieferten ein äußerst buntes Bild dieser Zeit, als Kompositionen noch nicht als "Werke" fixiert waren, ja Raum gaben für Improvisation, Spontanität und Spielwitz.

Da ließ die "Alte Musik" vieles der Neuen alt aussehen, etwa wenn Lee Santana auf seiner Cister den Lead-Gitarristen gab. Ein Highlight auch Wolfram Lattkes Auftritt als apulischer Folklore-Sänger: Derart witzig und selbstironisch dürfte man die "Tarantella del Gargano", in Italien als musik-ethnologischer Schatz gehütet, niemals gehört haben. Irgendwie war dieses Konzert, als ob sich die neun Musen auf ihrem Parnass zu einer amüsanten Faschingsparty getroffen haben - Komik, Tragik und Lyrik, Geschichte und Theater, Tanz, Gesang und Saitenspiel fröhlich durcheinandergemischt.

Auch denen, die da lauschten, hat es großen Spaß gemacht: Anhaltender Applaus und ungewöhnlicher Jubel im Konzertverein.

Ein Mitschnitt des Konzerts wird am 3. Mai um 20.05 Uhr in BR Klassik zu hören sein.