Ingolstadt
Große Oper in der Konsole

Audi-Sommerkonzerte: Pianist Benyamin Nuss begeistert ein vorwiegend junges Publikum mit Videospielmusik

16.07.2017 | Stand 02.12.2020, 17:47 Uhr

Videospiele für Feinsinnige: Benyamin Nuss spielt die Musik von "Final Fantasy" in der Eventhalle. - Foto: Sauer

Ingolstadt (DK) Benyamin Nuss vermutet schon ganz richtig: Viele Leute würden bei Videospielen an "Ballerspiele und schlecht für meine Kinder" denken, sagt er bei seinem Klavierabend im Rahmen der Audi-Sommerkonzerte. Jahrelang war das neue Unterhaltungsmedium umstritten, stigmatisiert als gewaltverherrlichend.

Das hat sich inzwischen geändert. In Berlin gibt es seit mehr als fünf Jahren ein Museum für Computerspiele, im MoMa in New York hat man das neue Massenmedium sogar zur neuen Kunstform erklärt und ihm eine Ausstellung gewidmet. Videospiele sind längst im Mainstream angekommen.

Wer die luxuriös gestalteten neueren Videospiele ansieht, merkt sehr schnell, dass dieses Medium sich in den vergangenen Jahrzehnten geradezu in Siebenmeilenstiefeln entwickelt hat. Da wundert es kaum, dass inzwischen auch die Musik dieser neuen Kunstform (ähnlich wie zuvor die Filmmusik) ernst genommen wird. Mehrfach haben Symphonieorchester Videospielmusik aufs Programm gesetzt - mit großem Erfolg. Das erste wichtige Konzert dieser Art gab das Los Angeles Philharmonic Orchestra bereits 2004. Nobua Uematsu, Komponist so bekannter Spiele wie "Final Fantasy" oder "Lost Odyssey", wird in seiner Heimat Japan gefeiert wie ein Popstar. Benyamin Nuss geht einen anderen Weg. Er spielt Bearbeitungen und Paraphrasen der Videospielwerke auf dem Konzertflügel. Sein Konzept ist dabei so faszinierend, dass sogar das altehrwürdige Label Deutsche Grammophon an ihn herantrat und eine CD mit ihm und Werken von Uematsu produzierte.

In den Konzertsälen wirken Nuss' Klavierabende wie eine Frischzellentherapie: In der Ingolstädter Eventhalle sieht man am Samstagabend so viele junge Leute einem Klavierabend lauschen wie sonst nie bei einem eher klassischen Konzert. Sie sind meist locker gekleidet, lauschen hoch konzentriert, ja geradezu andächtig dem sympathischen Künstler mit den wuscheligen Haaren und pfeifen und johlen vor Begeisterung.

Aber passt diese Art der Musik überhaupt zu einem klassisch ausgerichteten Festival?

Erstaunlich ist vor allem, wie eigenständig sich die Videospielmusik, besonders in Japan, entwickeln konnte. Die Werke von Uematsu (58), aber auch von Masashi Hamauzu (46) oder Masayoshi Soken (42) sind schwer stilistisch einzuordnen. Sie integrieren geschickt Strömungen der klassischen Musik, aber beziehen sich auch auf Jazz und Pop. So erkennt man leicht die Harmonik von Debussy und Ravel, die Rhythmik von Chick Corea und den pompösen Impetus von großen Filmmusik-Werken von John Williams, besonders bei dramatischen Schlusssteigerungen mancher Werke. Rauschhafte Klangkaskaden, sprudelnde Dreiklang-Explosionen, wie wir sie von Rachmaninow kennen, finden sich hier ebenso wie verhalten-romantischer Melos. Insgesamt allerdings fällt auf, dass sich die Komponisten mit vordergründiger Melodienseligkeit zurückhalten. Die Stücke sind keine Ohrwürmer zum Mitpfeifen, sondern musikdramatische Werke, die das Geschehen auf dem Bildschirm emotional aufladen, die man aber auch ohne die Spiele-Story immer wieder anhören kann. Das atmosphärische Farbenspiel, die lautmalerische Illustration ist wichtiger als die Schönheit der Themen.

Benyamin Nuss spielt energiegeladen, hochvirtuos, die sehnsüchtig-süßlichen Nummern liegen ihm genauso wie das orchestral-vollgriffige Donnern. Jederzeit zu spüren ist der narrative Charakter dieser Musik. "Große Oper im Konsolenformat" nennt Nuss sie.