Ingolstadt
Gefühlschaos, Glück, Geldprobleme

Eine Münchner Wohngemeinschaft zieht für zwei Nächte in das Altstadttheater Ingolstadt

11.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:05 Uhr

Chaotischer Haufen von Einzelgängern: Benedikt Streicher, René Rothe, Karina Schiwietz und Guido Drell (von links) in "Zimmer, Küche, Irgendwas. . . " auf der Bühne des Altstadttheaters. - Foto: Wirtz

Ingolstadt (DK) Mandarinenschalen liegen auf dem Boden verstreut, umgefallene Tupperware-Türme versperren den Weg, eine rote Federboa lässt Federn, halb leere Joghurtbecher überall und ein lieblos-kitschig dekorierter Plastikchristbaum liegt waagrecht auf einem kleinen Tischchen. "Wie bei Hempels unterm Sofa" ist eine passende Beschreibung für den Anblick, der sich dem Publikum bietet.

Eine Münchner Wohngemeinschaft aus dem Stadtteil Giesing hat sich für zwei Abende im Altstadttheater in Ingolstadt einquartiert. Genauer gesagt bei WG-Mitglied Kurt (im echten Leben Benedikt Streicher, Ingolstädter Jazzförderpreisträger 2017).

Dieser chaotische Haufen von Einzelgängern wurde nämlich aus seiner Wohnung in der Landeshauptstadt rausgeworfen. Auf der Suche nach einer neuen Bleibe probiert es die WG erstmal in Dresden. Dort sind die Mieten ja viel billiger, statt 2000 Euro die Stunde müsse man hier nur 200 Euro im Monat zahlen. Leider hat es dort nicht geklappt - wegen Kurt. Und weil er den Neustart vermasselt hat, verschlägt es seine WG-Kollegen erst einmal zu ihm nach Ingolstadt. Dort haben sie auf das Neue Schloss der Stadt bereits ein Auge geworfen. Das Wohnen in einem solch königlich anmutenden Eigentum hätte für alle seinen Reiz.

Nachdem es die Münchner in der ersten Folge "Krieg der Untermieter" der seifenoperartigen Aufführung am Freitag ordentlich krachen ließen, sah es am darauf folgenden Abend dementsprechend auf der Bühne aus. Schließlich sieht sich keiner in der Verantwortung, auch nur im Geringsten aufzuräumen. Das Motto des Samstagsfolge ist klar: "Der Putzplan schlägt zurück."

Im Laufe der Abende werden die Probleme der anfänglichen Zweckgemeinschaft immer offensichtlicher. Es tun sich wahrlich gesellschaftliche Abgründe auf, alle verhandelt in raffiniert ausgesuchten Liedern, die die Mitbewohner mal allein, im Duett oder gemeinsam anstimmten. Gleich zu Beginn wird in Prinzenmanier klargemacht: "Du musst ein Schwein sein in dieser Welt."

Der kleptomanische Postbote Rüdiger (René Rothe) versucht trotz seiner resignierten und gelangweilten Art, die WG zusammenzuhalten, obwohl er selbst aus der Bahn geworfen zu scheint: in aufgeknöpftem gelben Hemd, unrasiert und mit aufgeplatzter, zerrissener Hose. Das Zusammenleben ist schwierig, und die Offenlegung ihrer Fehler ist den Bewohnern sichtlich unangenehm. Allgegenwärtig ist Horsts verstorbene Geliebte Barbara. Sie war Schauspielerin, er ist Maskenbildner. Skurrilerweise bewahrt er ihre Asche in einer Kaffeedose auf und trägt sie stets mit sich. Im Rausch der Gefühle wird diese jedoch mehrmals heiter im Raum verstreut - ob von Horst (Guido Drell), der sich somit von ihr zu befreien versucht, oder von der eifersüchtigen Tupperware-Vertreterin und Call-Center-Telefonistin Ingeborg (Karina Schiwietz), die sich dadurch erhofft, dass Horst endlich ihre Liebe erwidert, hätte er Barbara endlich vergessen.

Von dem Chaos völlig unberührt bleibt Kurt. Er sitzt selig an seinem Flügel, befolgt musikalische Anweisungen der anderen, stört sich nicht daran, was alles in seiner Wohnung angerichtet wird und gibt höchstens einsilbige Antworten. Wer hätte nicht gern einen so umgänglichen WG-Freund?

Wer lange Zeit auf engstem Raum zusammenwohnt, ist irgendwann nur noch knallhart und ehrlich. Keine Rücksicht auf Verluste, verletzte Gefühle oder mögliche Peinlichkeiten. Und so kommt es, dass der spießige und verklemmte Horst in schwarzem Pullover und Krawatte nicht mehr nur von Ingeborg umgarnt wird, denn Rüdiger outet sich in der zweiten Folge. Aus dieser Situation kann nur noch Kurt mit einem peppigen Song helfen und schon schwirren sie wieder alle singend durchs Publikum, das vor Flirtversuchen jeglicher Art ebenfalls nicht verschont bleibt.

Um zu zeigen, was wirklich in den verlorenen Seelen vorgeht, dienen Schlager ("Du hast mich tausendmal belogen" von Andrea Berg), Musical-Hits ("Wart's nur ab Henry Higgens" aus My Fair Lady) oder Modernes ("Haus am See" von Peter Fox). Und Peter Maffays größte Schnulze "So bist du" wirkt durch die Interpretation des Ensembles La Vie nicht mehr wie ein Liebesbekenntnis für eine Angebetete, sondern mehr danach, als wolle Horst der ihn vergötternden Ingeborg gerade einen Korb geben.

Über Streitereien, Beziehungskisten, Veganismus und Alkoholprobleme hinweg, werden sämtliche gesellschaftliche Konfliktthemen behandelt, bis zum absoluten Höhepunkt der Absurdität - Horst gesteht, er habe seine schwerreiche Tante von ihren Leiden erlöst und ist nun im Besitz des nötigen Kleingelds, um der WG den Traum vom Ingolstädter Schloss zu ermöglichen.

Der krönende Abschluss und ein kreatives Feuerwerk war ein operettenhaftes Duett als Zugabe. Doch die hochtragende Melodie wurde nicht von Gesang ergänzt. Nein, das Streitgespräch war Katzenjammer: Die gegenseitigen Anschuldigungen wurden lediglich vom "Miau" vorgetragen. Als das Publikum verstand, was dort auf der Bühne vor sich ging, brach das schon lange erwartete und schließlich erlösende, laute Gelächter aus.