Ingolstadt
Fuchsjagd im Dauerregen

19.10.2014 | Stand 02.12.2020, 22:06 Uhr

Gnadenlose Jagd: Der Foxfinder (Béla Milan Uhrlau, rechts) notiert jede Schwäche und setzt den Farmer (Matthias Zajgier) unter Druck. \ - Foto: Jochen Klenk

Ingolstadt (DK) Alles hat seine Zeit und seine Mode – sogar die kollektive Angst. War es im Mittelalter die Macht der Hexe, so fürchtete man vor dreißig Jahren eben den sauren Regen, den Atomkrieg und das Waldsterben.

Heute sind die Schrecken unserer Zeit vielleicht Islamismus, Elektrosmog oder die totale Überwachung. Meistens haben solche kollektiven Ängste einen konkreten Anlass und ihre ureigene Herkunftsgeschichte – aber diese werden nicht bei ihrem Namen genannt, aus Unkenntnis, Furcht oder gar bösem Willen. Darum eben braucht man einen Sündenbock, den man im Exorzismus in die Wüste treiben kann. An die Wurzel des Übels, die Angst selbst, rührt diese Strategie allerdings nicht. Bei „Foxfinder“, dem am Samstagabend in Ingolstadt erstmals in deutscher Sprache gezeigten Schauspiel der jungen Britin Dawn King, sind die Füchse die Sündenböcke. Sie sind schuld an allem Übel, unkeuschen Frauen, welkender Ernte, bösen Träumen oder Alkoholismus. Eine ganze Gesellschaft, angesiedelt in einem zeitlos ländlichen Raum, reibt sich auf an der Suche nach ihnen. Nur einige wenige Menschen, wie Sarah (erfrischend: Teresa Trauth) haben durchschaut, dass es in dieser zerstörten Natur längst keine Füchse mehr gibt. Nur in Furcht und Aberglauben haben sie überlebt – und lange hat niemand mehr einen Fuchs gesehen. Doch die Macht im Lande liegt in den Händen der Foxfinder, einer paramilitärischen, zölibatären Männervereinigung, die zu Felde zieht gegen alle, die ihr landwirtschaftliches Plansoll nicht erfüllen, an der Existenz der Füchse zweifeln oder einfach nur freie Gedanken zu denken wagen. Die Foxfinder zwingen die Menschen zu einem Leben in der Lüge – auch Judith und Samuel, jenes Farmerpaar, auf deren kleinem Anwesen die Geschichte spielt.

Das Paar hat schlimme Monate hinter sich, denn nach dem tödlichen Unfall ihres Kindes fühlt sich Samuel schuldig, bleibt mit Depressionen im Bett und kann seine Arbeit nicht mehr verrichten. Außerdem regnet es unausgesetzt, und die gesamte Ernte an Mais und Lauch vermodert auf dem Felde. Das Letzte, was dieses von fast schon biblischen Plagen heimgesuchte Paar brauchen kann, ist die Ankunft eines Foxfinders. Dieser, jung, besessen und übermotiviert, fordert ihre Ausweise so kühl ein wie ihre Gastlichkeit und stellt dann nicht nur den ganzen Hof auf den Kopf, sondern findet bald auch unbestreitbare Beweise für seine Verseuchung: Bei so viel Unglück müssen Füchse am Werk sein. Das idyllische Reh samt Kitz, welches den Bühnenhintergrund (Nikolaus Porz) ziert, täuscht.

So zieht Foxfinder William zu Felde, streng nach den Regeln seiner Ideologie und sammelt Indizien – ein Kaninchenschädel hier, ein schlechter Traum dort, eine zögerliche Antwort – es gibt nichts, was nicht gegen die Farmer verwendet werden kann!

Das Stück der britischen Autorin ist ein streng gebautes Lehrstück, eine Parabel – ein wenig „Biedermann und die Brandstifter“ steckt darin, Brecht und Miller standen Pate. Die Thesen sind klar konturiert, die Charaktere wie mit Schablonen ausgestanzt. Aber ist das genug für einen ganzen, langen Theaterabend? Man hätte sich, nicht zuletzt von Regisseur Donald Berkenhoff, der diese Erstaufführung vielleicht allzu sehr beim Wort nahm, mehr Freiheit, weniger flache Bilder und eine größere Unschärfe gewünscht. Dann wäre der Abend, für welchen die Bühnenmusik von Deborah Wargon konsequent enervierenden Glasorgelklang und die Bühnenanweisung stetigen Regenfall beisteuerten, vielleicht nicht ganz so vorhersehbar geraten. Die Schauspielerriege allerdings kämpfte sich durch alle Längen und widerstand der klammen Kälte tapfer. Vor allem Patricia Coridun als Judith begegnete ihren Heimsuchungen mit einer breiten Gefühlspalette zwischen Erstarrung und Wärme, Liebe und Hass. Ihr junger Gast William (Béla Milan Uhrlau), der Foxfinder, zeigte schöne Momente des Zerbrechens an der Lüge, blieb aber in seiner Verkapselung in das System oft sehr verkrampft und blass. Die schwierigste Rolle des Abends oblag Matthias Zajgier, der als Bauer Samuel seine Kruste aus Leid und Unglück sprengt und die Wendung der Handlung herbeiführt: Er dreht den Spieß um, macht den Jäger zum Fuchs und erlegt ihn, weil er ihn als Schädling erkannt hat. Wohl dem, der eine Knarre hat. Die Ambivalenz zwischen Trauma und Aktion, Raffinesse und scheinbarer Schlichtheit, welche die Dramatikerin für diese Figur vorgesehen hatte, blieb am Premierenabend ein wenig im Papier des Stücktextes hängen. Papier aber widersteht diesen sintflutartigen Regengüssen nicht, welche stetig auf die grau in grau gezeichnete Bühnenlandschaft am Rande des Waldes niedergehen. Einzig zwei farbige Akzente gestattete die Regie dem Abend: die meist sorgsam verborgene rote Haarpracht Judiths und ein rotes Filofax-Notizbuch, in welches der Foxfinder seine Erkenntnisse notiert. Zwei blutvolle Ausreißer aus sehr viel Schwarz-Weiß-Malerei. Sonst: bleigrau – und Dauerregen.

Aus der spannenden Unglücksehe von Wissen und Aberglauben, welche den Angelpunkt des Stückes ausmacht, hätte man mehr machen können. Mancher Zuschauer wird stattdessen ein wenig abgestumpft nach Hause gehen nach diesem langen, nassen Abend und sich versichern, dass die Hochwasser-Versicherungspolice an ihrem Platz ist.