Ingolstadt
Feuerwerk der Emotionen

Das Ingolstädter Kammerorchester glänzt mit südländischer Musik

30.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:17 Uhr

Packend: Kathrin Schiele-Kiehn leitet das Ingolstädter Kammerorchester. - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Dass ein Orchester sich erfolgreich aus Mitgliedern aller Altersstufen formiert, vom Gymnasiasten bis hin zum Pensionisten, ist für sich genommen schon erstaunlich. Dass dasselbe Orchester dann auch noch ein ganzes Konzert mit einem hochanspruchsvollen Programm aus spanisch-lateinamerikanischen Werken bestreitet und sie obendrein noch bemerkenswert gelungen interpretiert, verdient größten Respekt.

Dieser Coup ist dem Ingolstädter Kammerorchester unter Kathrin Schiele-Kiehn am Samstagabend im Festsaal des Theaters gelungen. Sowohl dramaturgisch als auch hinsichtlich der Auswahl der Stücke, die dem Potenzial des Orchesters optimal entsprechen, bewies die Dirigentin Geschick.

Schon bei der vergnüglichen Ouvertüre zu "Los esclavos felices" von 1820 aus der Feder des in seiner baskischen Heimat als "spanischer Mozart" gehandelten Juan Crisóstomo de Arriaga versetzten die Musiker in bald graziler, bald jubilierend-vorantreibender Spielweise ihre Zuhörer in heitere Laune.

Wirkungsvoll dazu kontrastierte die Ausgestaltung von Heitor Villa-Lobos' "Preludio" aus den "Bachianas Brasileiras Nr. 4", wo der Komponist die Polyfonie seines Vorbilds Bach mit der Folklore seiner brasilianischen Heimat verschmilzt: Hier steigerten die wunderbar ausbalancierten Streicherstimmen den gefühlvollen, schwermütig-melancholischen Unterton der Ausgangsmelodie immer mehr zu einer dramatischen Verdichtung von fast tröstlicher Erlösung.

Als erste Solistin des Abends brillierte die Neuburger Perkussionistin Seon-Yeong Hoffmann. Das viersätzige Marimbakonzert des zeitgenössischen brasilianischen Tonschöpfers Ney Rosauro bot ihr dazu mehr als reichlich Gelegenheit. In den vier Sätzen stürzte sie sich rhythmisch drängend in rasende Klangkaskaden, ließ die Schlägel perlend über die Holzstäbe tanzen, sie verhalten vibrieren oder sanft dahintupfen, um ihnen dann wieder in überschäumenden oktavierten bis chromatischen Linien freien Lauf zu lassen. So kam die Künstlerin um eine Zugabe, nämlich die frech quakenden "frogs" von Keiko Abe, natürlich nicht herum.

Von tiefgründiger Leidenschaft geprägt war dagegen die Darbietung der Ingolstädter Cellistin Andrea Riemer. Dem argentinischen Flair von José Bragatos Tango "Graciela y Buenos Aires" verlieh sie nicht nur optisch als "Tänzerin" im schwarzen Kleid und mit roter Blüte im Haar Ausdruck. Warme, mit sattem Ansatz gespielte, elegische Motive bäumte sie auf zu wilden, rauen, ungebändigten Ausbrüchen, die sich berückend aus den übrigen Streichern herausschälten, ehe sie, dorthin zurückkehrend, sanft verebbten. Eine reife, vielschichtige Ausdeutung dieses Meisterwerks aus dem symphonischen Tango-Repertoire. Ebenfalls tänzerisch ging es im ganzen Orchester bereits nach der Pause zu, jedoch auf spanische Weise und auf bewundernswert konstant hohem Niveau: "Tres viejos aires de danza", drei alte, neoklassizistisch angehauchte Tanzweisen des 1999 verstorbenen Joaquín Rodrigo, zauberten eine verträumt-unbeschwerte Atmosphäre in den Saal.

Ausgehend vom ländlichen Friedensidyll der "Pastoral", in Anlehnung an Beethovens 6. Symphonie untermalt durch eingestreute Kuckucksrufe der Bläser, reichte die Bandbreite über ein munter zwischen Dur und Moll changierendes "Minué" bis hin zu einer akzentuiert ausgelassenen "Jiga". Vor allem im ersten Satz durften der junge Konzertmeister Andreas Wittmann wie auch einige andere Orchestermitglieder in kurzen solistischen Passagen eindrucksvoll ihr Können zeigen.

Zur absoluten Höchstform lief das Ingolstädter Kammerorchester schließlich bei Arturo Márquez' finalem "Danzón Nr. 2" auf, einem rauschhaft-fulminant anwachsenden Konglomerat aus prägnanten kubanisch-mexikanischen Klangfarben und zündenden, mitreißenden Perkussionsrhythmen, am Klavier imposant verstärkt durch den 17-jährigen Gymnasiasten Elia Tyroller. Tempo und Dynamik trieb Kathrin Schiele-Kiehn, die ihre Musiker stets voll im Griff hat, nun mitunter bis zur beinahe schwindelerregenden Atemlosigkeit, entfachte ein sprühendes Feuerwerk an explosiven Emotionen. Selbstredend, dass das Publikum davon nicht genug bekommen konnte und der letzte Teil wiederholt werden musste. Unbändige Lebensfreude und die pure Lust am Musizieren lässt sich kaum besser auf die Bühne bringen, wie einhelliger Jubel, Bravorufe und nicht enden wollender Applaus am Schluss bestätigten.