Ingolstadt
Facettenreiches Frühlingserwachen

Letzter Auftritt im Neuen Schloss: Der Ingolstädter Motettenchor gibt ein mitreißendes Konzert

12.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:42 Uhr

Ingolstadt (DK) Es war sozusagen die letzte Chance für eine einmalige Gelegenheit - und die packte der Motettenchor unter seiner engagierten Dirigentin Eva-Maria Atzerodt beim Schopf: Bevor in diesen Tagen die Dürnitz des Neuen Schlosses wieder für die Dauerausstellung des Bayerischen Armeemuseums eingeräumt wird, stand dem Ensemble der eindrucksvolle historische Saal am vergangenen Wochenende exklusiv für sein Frühlingskonzert zur Verfügung.

Dafür ist das gotische Ambiente durch die niedrigen Gewölbe, die die Stimmen gleichermaßen zusammenhalten wie den Gesamtklang sich entfalten lassen, akustisch bestens geeignet.

Diese optimalen Rahmenbedingungen nutzen die über 60 Sängerinnen und Sänger gleich zu Anfang für einen Überraschungseffekt. Sie begrüßen ihr Publikum im Raum verteilt als kleinere Vokalensembles mit heiteren Renaissance-Madrigalen, jeweils angeleitet von Mitgliedern, die selbst als Chorleiter und Musiklehrer tätig sind. "Tourdion" von Pierre Attaingnant fordert die Zuhörer, begleitet von Tamburin und Flöten, beschwingt zum Trinken und Tanzen auf, Lassos schmeichelndes "O Occhi, Manza Mia" umgarnt frivol-verführerisch eine Herzensdame, "Tanzen und Springen", der Chor-Evergreen von Hassler, überzeugt durch seinen rhythmischen Pfiff und die Refrain-Prägnanz ebenso wie Giovanni Gastoldis "An hellen Tagen". Die gute alte Volksliedtradition lebt in "Es steht ein Lind" des Ambergers Caspar Othmayr wieder auf, ehe alle gemeinsam - jedoch unterteilt in einen Haupt- und einen separaten Nebenchor von hinten - mit "Hallo! Welch schönes Echo" (ebenfalls von Lasso) ein originelles, zeitversetzt-changierendes Spiel mit der Nachhall-Wirkung zum Besten geben.

Anhand von Jaakko Mäntyjärvis bizarr arrangiertem "Ach bittrer Winter" verabschiedet sich der inzwischen gänzlich vereinte Motettenchor von der kalten Jahreszeit, durchzogen von einem frostig-trostlosen Klarinettensolo (gespielt von Sarah Sillmann), eisig gezischten Windböen und erstarrenden Harmonien. Derart freigesungen kann der anbrechende Tag begrüßt werden - mit Dvoraks "Napadly písn" voll tschechischer Romantik, mit Reichhardts melodisch-reizvollem "Wach auf, meins Herzens Schöne", mit Mendelssohns kanonisch tirilierendem "Lerchengesang". Elegischer, romantisierender, hingebungsvoller eröffnen sich dagegen "All meine Herzgedanken" von Johannes Brahms, die in Schumanns atmosphärische, doppelchörig verdichtet emporstrebende "Zuversicht" münden und sich schließlich zu seiner geradezu symphonisch-poetisch anmutenden Anrufung "An die Sterne" aufschwingen. Ästhetisch wie technisch höchst anspruchsvolle Chorliteratur, die der Motettenchor nahezu durchgehend intonationssicher und ausdrucksstark meistert.

In kontrastierend munterer Manier geht es dann volksliedhaft weiter quer durch Europa: Ein kokettes Zwiegespräch auf Polnisch, währenddessen sich die Männer- und Frauenstimmen gegenseitig zurufen ("A jo sobie" von Siegfried Strohbach), führt zu fantasiereich ausrhythmisierten Variationen über das französische Kindertanzlied "Sur le pont d'Avignon", um mit dem Schunkeln der italienischen Canzone "In mezzo al mar", illustriert durch kantable Ruder- und Wellenbewegungen, in See zu stechen. Die geheimnisvolle, mystische Seite des Ozeans kommt indes bei Wilhelm Peterson-Bergers "Am Meer" zur Geltung. Fast noch beeindruckender verbreitet sich diese skandinavische Aura in seinem in der schwedischen Originalsprache gesungenen "Stemning - Stimmung". Hier gelingt es den erfahrenen Laiensängern unter der versierten, mimisch stets lebhaft unterstützten Führung von Eva-Maria Atzerodt hervorragend, ein schimmerndes nordisches Abenddämmerungsidyll auf die Bühne zu zaubern.

So ist der Weg zu den abschließenden Nachtliedern nicht mehr weit: Rameaus "La Nuit", bekannt aus dem Film "Die Kinder des Monsieur Mathieu", wird als hymnisch-innig gesungenes wie auch gesummtes Gebet gestaltet, der Brahms-Klassiker "In stiller Nacht" betört mit sensibel ausdeutender, homogener Stimmführung und ausgesprochen präziser Artikulation, ehe der Chor sein Auditorium mit dem wendischen, wehmütig auf Sorbisch vorgetragenen Volkslied "Mjej ty dobru no" entlässt. Um eine Zugabe - den afroamerikanischen Spiritual "Deep river" - kommt er aber natürlich nicht herum. Ein rundum gelungener, sowohl kulturell als auch sprachlich facettenreicher Liederreigen durch Jahreszeiten und Tagesläufe von der Renaissance bis zur Moderne.