Ingolstadt
"Es gibt Momente der Krise"

Der Pianist Martin Stadtfeld über sein Leben mit Bach, Jugendarbeit und sein Konzert beim Konzertverein Ingolstadt

03.05.2017 | Stand 02.12.2020, 18:12 Uhr

Martin Stadtfeld gilt als der deutsche Bach-Pianist. Doch Chopin schätzt er beinahe genauso. - Foto: Borggreve/Sony

Ingolstadt (DK) Martin Stadtfeld ist der vermutlich renommierteste Bach-Pianist unserer Zeit. Er gastiert zusammen mit dem Mannheimer Mozartorchester am Donnerstag, 11. Mai, um 20 Uhr im Festsaal des Stadttheaters Ingolstadt. Martin Stadtfeld gestaltet die Klavierkonzerte in f-Moll von Johann Sebastian Bach und dessen jüngstem Sohn Johann Christian Bach. Im Interview spricht er über sein Verhältnis zu Bach und anderen Komponisten und über seine Karriere.

Herr Stadtfeld, Sie sind so ziemlich der einzige deutsche Pianist der jüngeren Generation, der sich voll und ganz international durchgesetzt hat - in einem immer schwierigeren kulturellen Umfeld. Was ist Ihr Erfolgsgeheimnis?

Martin Stadtfeld: Im Grunde genommen weiß ich selbst nicht so genau, wie das eigentlich passieren konnte. Vieles ist Zufall. Die Dinge erklären sich meist erst im Rückblick. Nach dem Motto: Das Leben wird vorwärts gelebt und rückwärts verstanden.

 

Sie erzählen manchmal, Sie hätten bereits als 7-Jähriger als Berufswunsch Konzertpianist angegeben. Was bringt ein Kind dazu, eine so ungewöhnliche Karriere anzustreben?

Stadtfeld: Ab dem sechsten Lebensjahr hatte ich Klavierunterricht bei Hubertus Weimer, der in mir die Begeisterung gerade auch für Bach weckte. Ich habe dann rasch Fortschritte gemacht und mich daher bald über die Musik definiert. Ich erinnere mich gut an meine unbeschwerte Kindheit, in der ich mit anderen Kindern gespielt habe, wir auf Bäume geklettert sind usw. Und dann erinnere ich mich an die Gedanken, die ich damals hatte: Es war schön, Spaß zu haben, aber dann wünschte ich mir doch auch, wieder an der Beethoven-Sonate zu arbeiten.

 

Waren Sie ein Wunderkind?

Stadtfeld: Sicher wurde ich so gesehen. Ich hatte ja ab dem 9. Lebensjahr öffentliche Auftritte und spielte bei den Chorkonzerten meines Lehrers, die damals im Westerwald, wo ich aufwuchs, viel Beachtung fanden. Natürlich wurde ich in diesem Umfeld dann schon als Wunderkind betrachtet. Der Begriff Wunderkind sagt ja eigentlich mehr aus über die Menschen, die ihn verwenden, als über den Gegenstand der Betrachtung. Mir hat er nie etwas gesagt. Für mich gab es nur das Klavier und die Musik.

 

Normale Kinder wachsen mit Fußball und Popmusik auf. Wie war das bei Ihnen?

Stadtfeld: Meine Kindheit war sehr schön, sodass ich mir gar nicht merkwürdig vorkam. Ich erinnere mich, dass ich in einem gewissen Sinne etwas Besonderes gemacht habe, das sahen auch meine Klassenkameraden so. Ich stand ja auch hin und wieder in der Zeitung mit den entsprechenden Schlagzeilen: "Wunderkind am Klavier" und Ähnliches. Das wurde nicht negativ wahrgenommen. Im Gegenteil. Wenn wir einen Schulausflug gemacht haben, und da stand ein Klavier herum, staubbedeckt und gefühlte Ewigkeiten nicht mehr angefasst, riefen alle: Martin, du musst etwas spielen. Einmal lud ich die ganze Schulklasse nach Hause ein, und dann haben wir Musikraten veranstaltet. Ich saß am Klavier und habe verschiedene Stücke gespielt. Für den Sieger hatte ich fünf Mark ausgelobt.

 

Inzwischen haben Sie diesen Beruf des Konzertpianisten ergriffen, der ja enorm herausfordernd ist. Mehrfach pro Woche spielt man vor fremdem Publikum, ist verpflichtet, absolute Höchstleistungen zu bringen, jeder Gedächtnisfehler wird gleich zum existenzgefährdenden Skandal. Wie geht man damit um?

Stadtfeld: Unterschiedlich. Es gibt Momente der Krise, in denen man noch einmal neu definieren muss, wie man mit diesem Beruf überhaupt umgeht. Man spürt dann, dass man immer wieder von Momenten der Angst und des Drucks zurückfinden muss zur Freude und zum Kindlichen eben auch.


Seit Sie den Bach-Wettbewerb in Leipzig gewonnen haben, klebt auf Ihnen das Label "Bach-Pianist". Ist das ein Nachteil oder ein Vorteil?

Stadtfeld: Das war zunächst ein riesiger Vorteil, und ist es wahrscheinlich bis heute. Es ist für einen Künstler sehr wichtig, für etwas zu stehen. Es gibt nichts Nichtssagenderes als einen Pianisten, der eigentlich alles gleich gut spielt. Und: Es ist ja für mich tatsächlich so, dass Bach der Urgrund ist, auf dem alles andere aufbaut oder zu dem alles Nachfolgende in einer bestimmten Beziehung steht. Insofern habe ich das Glück, dass das Etikett, das man mir verpasst hat, tatsächlich mit meiner Grundeinstellung übereinstimmt. Dennoch war es wichtig für mich, jetzt auch Musik zu spielen, die scheinbar mit Bach nichts zu tun hat, wie Chopin. Aber in einem gewissen Sinne hat Chopin dann doch sehr viel mit Bach zu tun.

 

Irgendwie hat man das Gefühl, dass Sie auch romantische und klassische Literatur mit derselben glasklaren Übersichtlichkeit wie Bach spielen. Darin gleichen Sie dem anderen großen Bach-Interpreten, Glenn Gould?

Stadtfeld: Ja, aber es war für mich auch eine große Erkenntnis, wie viel Bach tatsächlich in Chopin steckt. Er ist ein ungemein traditioneller Komponist und auch ein ausgesprochen struktureller. Da gibt es eine starke Linie zu Bach.

 

Wie ist eigentlich Ihr Verhältnis zu Glenn Gould? Ist er ein Vorbild?

Stadtfeld: Schon lange nicht mehr.

 

Als Pianist hat man vielleicht auch das Bedürfnis, eine Botschaft zu übermitteln. Aber das ist immer schwieriger, da gerade junge Menschen immer weniger in klassische Konzerte gehen. Wie gehen Sie damit um?

Stadtfeld: Das wechselt. Manchmal hat man so ein didaktisches Bedürfnis, dass man auch über die gespielte Musik hinaus etwas mitteilen möchte, in Schulbesuchen etwa. Da möchte ich meine eigene Begeisterung für diese Musik natürlich weitergeben. Manchmal ist man auch ein bisschen resigniert und spürt, dass man alleine so wenig ausrichten kann. Ich kann letztlich nur versuchen, mit meinem Beruf im Einklang zu leben.

 

Genügt es denn, wenn man am Abend einfach nur Bach, Schubert oder Beethoven spielt?

Stadtfeld: Ja. Wenn sich etwas vermittelt, wenn Menschen davon bewegt sind, wenn in ihnen etwas nachschwingt. Das ist eigentlich das Wichtigste, viel wichtiger als bejubelt zu werden. In mir auch. Es ist wie bei Kinofilmen. Es gibt Blockbuster, die sind tolle Unterhaltung, aber auf dem Weg zum Ausgang hat man den Film schon fast vergessen. Und dann gibt es Filme, die sind vielleicht gar nicht so spektakulär, aber sie beginnen ein paar Tage später erst in einem nachzuhallen. Das ist natürlich viel wertvoller.

 

In Ingolstadt spielen Sie Johann Sebastian Bach und dessen Sohn Johann Christian Bach. Was veranlasst Sie zu dieser Vater-Sohn-Gegenüberstellung?

Stadtfeld: Das ist in der Tat ein ganz besonderes Programm, auf das ich mich sehr freue. Denn Johann Christian Bach ist für mich eine ganz wichtige Neuentdeckung. Bisher begriff ich ihn eher als einen der Bach-Söhne. Und damit konnte ich wenig anfangen, eben Rokoko, oberflächlich. Aber er schreibt eine wirklich unglaublich tiefsinnige Musik. Es gibt ein schönes Zitat des Leiters des Bach-Archivs in Eisenach: Wenn es Mozart nicht gegeben hätte, dann würden wir heute alle Johann Christian Bach hören. Und das stimmt wirklich.

 

Das Interview führte Jesko Schulze-Reimpell.

 

ZUR PERSON

Martin Stadtfeld kam 1980 in Koblenz zur Welt und wuchs im Westerwald auf. Er gewann zahlreiche internationale Preise und wurde viermal mit dem Echo-Klassik ausgezeichnet. Seine CDs veröffentlicht er bei Sony Classic.