Ingolstadt
Erschütternde Intensität

Thema Demenz: Christiane Bruhn und Chris Nonnast spielen "Der Alte König in seinem Exil"

22.10.2017 | Stand 02.12.2020, 17:19 Uhr

Chris Nonnast (links) und Christiane Bruhn führten im Altstadttheater Ingolstadt "Der Alte König in seinem Exil" auf. - Foto: Hammerl

Ingolstadt (DK) Er ist gefangen in seinem Reich, "Der Alte König in seinem Exil". Denn er kann nicht mehr über die Brücke in die Welt der anderen gehen, in unsere Welt, die der Jüngeren und Gesunden. Wie wichtig und befruchtend es sein kann, wenn sich jemand aufmacht, um das Reich des Königs zu betreten, zeigt das gefühlvolle Theaterstück, das im Altstadttheater unter Regie von Rüdiger Pape aufgeführt wurde.

Christiane Bruhn und Chris Nonnast spielen Vater und Sohn mit einer tief berührenden, ja fast erschütternden Intensität, die selbst Zuschauer, die noch nie näher mit einem Dementen zu tun hatten, die Tragik erspüren lässt. Sie ist beinahe mit Händen zu greifen, beispielsweise wenn der alte Mann darauf beharrt, er wolle jetzt nach Hause. Die Antwort des Sohnes, er sei doch zu Hause, wischt er beiseite: "Zu Hause sieht ganz ähnlich aus, nur etwas anders." Sogar das eigene Bett scheidet als Zu Hause aus. Oder wenn der Sohn feststellt, "das Leben und die Persönlichkeit sickern langsam, Tropfen für Tropfen aus ihm heraus".

Hoffnung gibt es eigentlich nicht, dennoch ist die Botschaft des Stücks, das auf dem gleichnamigen autobiografischen Roman von Arno Geiger beruht, eine positive, ja Mut machende. Denn es gibt ein Miteinander, es gibt einen Weg, wie Chris Nonnast in der Rolle des Autors erzählt. Sie wechselt gekonnt zwischen Erzähler- und Dialogebene, erzählt, wie schwer es den Angehörigen zunächst fiel, die Krankheit zu akzeptieren, nennt den Prozess "ein jahrelanges Katz-und-Maus-Spiel", in dem Vater und Angehörige die Mäuse, die Krankheit die Katze war. Dann zeigt sie im direkten Dialog mit Christiane Bruhn, wie ein Miteinander in der Welt des Vaters funktionieren kann. Beim gemeinsamen Singen des Kärntener Volksliedes "Wo die Almreserl wachs €˜n und der Enzian blüat" zum Beispiel oder in einem Dialog voller Poesie und Witz, teils auch unfreiwilliger Komik vonseiten des Alten Herrn, dessen früherer Charme und Selbstbewusstsein immer wieder durchblitzen und der Neukreationen von Sprichwörtern oder stehenden Begriffen hervorbringt, die schmunzeln lassen. "Ich soll 80 sein? Du vielleicht, ich doch nicht" oder "Ich glaube dir - aber unter Vorbehalt", sind wunderbare Sätze, die den Vater so sympathisch machen, dass sich das Mitleid mit dem Sohn in Grenzen hält.

"Es geschehen keine Wunder, aber Zeichen", sagt Bruhn, die dem Alten König viel Würde verleiht und der es wunderbar gelingt, die vielen, mitunter schnell wechselnden Facetten des Geisteszustands rüberzubringen. Misstrauen, Hilflosigkeit, Wut, Aggression auf der einen Seite, hoheitsvolles Akzeptieren, Kooperation - wenn der Sohn weit genug in die Welt des Vaters eingedrungen ist und dessen Sicht übernimmt - und gelegentlich Freude und Zugänglichkeit auf der anderen.

Herauskommen anderthalb Stunden, die höchste Konzentration der beiden Akteure, aber auch des Publikums erfordern und dafür mit dem Gefühl der Zuversicht belohnen. Dass nach vielen Jahren häuslicher Pflege schließlich doch das Pflegeheim steht, nimmt nichts von der positiven Stimmung. Wenn Pflege eines Dementen tatsächlich so läuft, dann ist es eines Tages genug getan. Kräftiger Applaus und Bravorufe belohnen das unter die Haut gehende Spiel der beiden Schauspielerinnen.