Ingolstadt
Erinnerungen an Mozart

Große Begeisterung für das Konzert des Georgischen Kammerorchesters mit dem Schlagzeuger Richard Putz im Ingolstädter Festsaal

10.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:40 Uhr

Was ist einschlagend, fragte das zweite Abonnementkonzert des Georgischen Kammerorchesters. Solist war Richard Putz. - Foto: Weinretter

Ingolstadt (DK) Musik ist eigentlich abstrakt. Sie besteht nur aus klug arrangierten Tönen, die Emotionen auslösen. Aber sie ist doch noch mehr: Quelle der Inspiration, der Fantasie etwa. Und manchmal scheint sie sogar etwas zu bedeuten, scheint sie einen konkreten Inhalt zu haben - so rätselhaft das auch sein mag.

Zum Beispiel die Musik des Italieners Nino Rota (1911- 1979), mit der jetzt das zweite Abonnementkonzert des Georgischen Kammerorchesters im Ingolstädter Festsaal eröffnet wurde. Denn Rota ist hauptsächlich als Filmkomponist bekannt. Er hat für einige der berühmtesten Werke der Filmgeschichte komponiert, etwa die Musik für Francis Ford Coppolas "Der Pate".

Auch wenn Rota allerdings absolute Musik schreibt, also Musik, die sich nicht auf eine irgendwie geartete Realität bezieht, scheint er das Terrain der Filmmusik nicht ganz zu verlassen. In Ingolstadt spielen die Georgier sein "Konzert für Streichorchester" aus den frühen 1960er-Jahren. Ein wunderbares Stück, gleichsam Filmmusik ohne Film, Kino für die Ohren. Im "Preludio" inszeniert er eine beklemmende Situation wie für einen Gespensterfilm. Später scheint eine Verfolgungsjagd stattzufinden oder etwas Furchtbares zu passieren. Und es gibt Momente der unergründlichen Angst. Die Georgier spielen dieses quasi barocke Concerto grosso mit erstaunlicher Leichtigkeit, die Melodien entwickeln sich flüssig, der Orchesterklang ist seidenweich.

Auch wenn die übrigen Stücke mit Filmmusik so gut wie nichts zu tun haben: Assoziationen erwecken auch sie, als wären sie Programmmusik. Und ein kleines bisschen trifft das auch auf Minas Borboudakis Werk " ˆ‘ - Cassiopéia" zu. Der Grieche bezieht sich damit auf das Sternzeichen gleichen Namens, das ein Sigma zu bilden scheint. Borboudakis löst die Form in Intervalle auf. Und so ungefähr klingt das Stück des 1974 geborenen Komponisten auch. Der Schlagzeuger Richard Putz scheint zunächst nur Geräusche und Einzeltöne zu produzieren. Der Schall eines Beckens, das schrille Klingeln einer Triangel, trübe Gongschläge, das Orchester spielt dazu leises Tremolo und irrlichternde Glissandi. Die Töne hallen durch den Saal, suggerieren die Weite des Weltraums, den Glanz der Sphärenmusik. Erst ganz langsam ballen sich die musikalischen Partikel, die astronomischen Wolkengebilde zu Motiven, Themen. Herr über die Klänge ist hier besonders Richard Putz, der mit sportivem Elan die Imagination des Publikums anregt.

Noch mehr gefordert ist der Dachauer beim vierten Marimba-Konzert des ehemaligen Rockmusikers Anders Koppel (Jahrgang 1947). Mit vier Schlägeln in den Händen rauscht er über die hölzernen Anschlagstäbe, bearbeitet sie mit schier unvorstellbarem Tempo und variiert dabei die einfachen, aber wirksamen Motive des Stücks. Das Werk spielt mit der Idee der Erinnerung. Motive tauchen auf, wiederholen sich wie in der Minimal Music, verschwinden und sind plötzlich wieder da. Nach einem trauermarschartigen Beginn geht die Komposition über zu einem feu-rigen, pseudoklassischen Alle-gro, das in einem Zitat aus Mozarts Alla-turca-Sonate gipfelt.

Anspielungen auf die Klassik, und hier besonders auf Mozart, findet sich ebenfalls in Peter Tschaikowskys Streicherserenade C-Dur. Während Koppel allerdings eher melancholisch an das Genie erinnert, es quasi vor dem Verschwinden retten möchte, unternimmt Tschaikowsky den Versuch einer merk-würdigen Mimikry aus purer Verehrung. Heraus kommt ein hochromantischer Pseudo-Mozart, die Musik des Klassikers aus der Brille des späten 19. Jahrhunderts betrachtet.

Das Georgische Kammerorchester unter der Leitung von Ruben Gazarian läuft hier zur Hochform auf. In den Ecksätzen betont Gazarian den großen Gestus der Musik, formt die Phrasen mit größter Eindringlichkeit, lässt sie aufbäumen und abebben. Aber am eindrucksvollsten gelingt ihm die Elegie mit ihren langen rezitativischen Passagen. Gazarian inszeniert Hochspannung, schöpft seine Kraft aus den Pausen, lässt die Streicher beben. Eine packende, eine deutsch-tiefsinnige Deutung. Jubel im Festsaal.

Und Begeisterung nach dem Konzert unter dem Publikum, wie man es in Ingolstadt selten erlebt. Kein Zweifel: Das Orchester ist auf einem guten Weg.