Ingolstadt
Eingängige Melodien, nachdenkliche Texte

Ein Abend mit Anlaufschwierigkeiten: "Tapetenwechsel" in der Reihe Lokalmatadoren im Ingolstädter Altstadttheater

20.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:37 Uhr

Neue Reihe: Thomas Zrieschling, Bettina Krugsperger und Morli Huber (v. l.) brachten "Tapetenwechsel" ins Altstadttheater. - Foto: Hammerl

Ingolstadt (DK) Drei riesige Umzugskartons, Kontrabass und diverse Kleidungsstücke, scheinbar achtlos herumliegend oder -hängend, bevölkern die ansonsten noch leere Bühne des Altstadttheaters, schwungvoll-moderne Zithermusik eines unsichtbaren Musikers leitet den Abend ein. "Tapetenwechsel" ist angesagt in der neuen Reihe Lokalmatadoren.

Als Bettina Krugsperger den mittleren Karton umdreht, sich damit auf die Bühne bringt und beginnt, die herumfliegenden Kleidungsstücke einzusammeln und über die Wand mit dem groß gemusterten barocken Tapetenmuster zu hängen, kommt sich der Zuschauer wie ein Voyeur vor, der versehentlich an eine späte Hippiekommune geraten ist. Ohne sich um die Zuschauer zu kümmern, versucht Krugsperger einen roten Rock über ihr mehrlagiges, schwarzes Unterwäsche-Outfit zu ziehen, scheitert aber am Reißverschluss. Absicht oder nicht? Schwer zu sagen, spielt aber auch keine Rolle. Die musikalische Premiere der Künstlerin und Designerin wirkt im ersten Teil wie improvisiert, ziellos, planlos. Sie spielt, was sie singt: "I woaß heit gar net, wos i will". Was den selbst geschriebenen selbstironischen Song interessant macht, ist der pfiffige Wechsel zwischen Bayerisch und Englisch. "I cannot stop to think €” ich glaub, ich brauch nen Drink." Mit dem Denken ist das so eine Sache €” "ich denk sogar über das Denken nach". Oder darüber, wie sie Eisverkäufer dazu bringen kann, die von ihr gewünschte Reihenfolge der Kugeln einzuhalten, damit erfrischende Durstlöscher wie Erdbeer- oder Pfirsicheis als Letzte den Gaumen erfreuen, der als Erstes eine hungerstillende cremig-milchige Sorte genießen soll. Beides natürlich getrennt von einer "neutralen Rettersorte" wie Banane oder Vanille. Doch Eisverkäufer haben dafür gar keinen Sinn, sie wählen entweder den kürzesten Weg oder die hellste Farbe zuerst. "Inzwischen geht nur noch meine Mutter mit mir zum Eisessen", klagt Krugsperger. Und selbst die braucht einen Trostspruch "Bis du heiratest, vergeht das wieder."

Das Publikum darf teilhaben am Selbstfindungsprozess, begleitet die Protagonistin durch Kindheitserlebnisse, Ausbildung, ihre Erfahrungen mit Männern €” der erste war laut Song "Policeman", Polizist, der zweite Hasardeur €” sowie Grenzerfahrungen mit Batterie-Zungenübungen unter der sichtverdeckenden Wolldecke.

Mit ersten Kurzauftritten von Kontrabassist Thomas Zrieschling kommt etwas mehr Schwung hinein; leider erst nach etwa 40 Minuten ist das Trio auf der Bühne mit Gitarrist Morli Huber in der Jogginghose und seinem Song "The First Step Is Never The Hardest" komplett. Zum Träumen schön gelingt die Zitherkomposition "Meine schöne Tänzerin", die Zrieschling Flamencorhythmen nachempfunden hat. Der letzte Song vor der Pause, "Schaum der Zeit", schließlich ist ein Versprechen, und tatsächlich nimmt das Programm im zweiten Teil an Fahrt auf. Die Männer an ihrer Seite tun Krugsperger gut, auch wenn sie wenig sagen. Ein paar feine Nadelstiche reichen, um mehr Drive reinzubringen, die Musik spielt sich in den Vordergrund, und die Anekdoten, die Krugs-perger nun von der langen Papierrolle aus einem Vorkriegs-Schreibmaschinenmodell abliest, überzeugen weit mehr als der Selbstfindungstrip zu Beginn. Berufswunsch Eier-Holerin? Darauf muss man erst einmal kommen. Nur der fünfjährige Sohn toppt das noch mit "Apfel-Anbieter". Hohen Wiedererkennungswert, nicht nur für Töchter, sondern auch für geplagte Ehefrauen, haben Krugspergers Qualen beim Fernsehabend mit ihrem Papa, der übrigens im Publikum sitzt.

"Tapetenwechsel" punktet vor allem mit der eingängigen Musik, die oft in starkem Kontrast zu den eher nachdenklichen Songtexten steht. Luft nach oben ist noch beim Selbstfindungs-Soloauftritt der Lokalmatadorin. Bleibt abzuwarten, was den dreien nach der Aufarbeitung ihrer Biografie noch einfällt. Als Premiere des erst vor einem Jahr formierten Trios durchaus beachtlich, dem Publikum hat es jedenfalls gefallen. Es ringt dem Trio mit anhaltendem Applaus noch einmal den Song "Schaumzeit" als Zugabe ab.