Ingolstadt
Ein ganz anderer Beethoven

Bernd Glemser sprang für Khatia Buniatishvili ein und wurde gefeiert

08.12.2016 | Stand 02.12.2020, 18:56 Uhr

Makellose Kooperation: Bernd Glemser spielt das 3. Klavierkonzert von Beethoven, Ruben Gazarian dirigiert das Georgische Kammerorchester im Ingolstädter Festsaal. - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Bernd Glemser (54) ist ein herausragender Pianist, einer der besten überhaupt. Insofern war er ein würdiger Einspringer beim 3. Klavierkonzert von Ludwig van Beethoven für die kurzfristig erkrankte Georgierin Khatia Buniatishvili. Absolut kein Grund, unzufrieden zu sein mit dem letzten Abonnementkonzert des Georgischen Kammerorchesters in dieser Saison. Und doch . . .

Einige Konzertbesucher werden an das Konzert der genialische Virtuosin vor drei Jahren gedacht haben. Damals stand auch ein Beethoven-Konzert auf dem Programm, das erste. Zu erleben war 2013 pure pianistische Magie. Buniatishvili tat all das, was man bei Beethoven eigentlich nicht tun sollte: Sie hauchte auf dem Klavier die Töne, sie formte sie unglaublich differenziert an der Grenze des Hörbaren. Aber die Klänge hatte desto größere Wirkung, je mehr sie im Pianissimo versanken. Das war musikalische Alchemie, künstlerische Homöopathie. Faszinierend.

Wie vollkommen anders dagegen spielte der Würzburger Hochschulprofessor Glemser. Sicher, sein Umgang mit Beethoven ist stilsicherer als der der eher romantisierenden Khatia Buniatishvili. Aber auch weit gewöhnlicher. Glemsers Mittel war nicht die Suggestion, sondern die Klarheit. Sein Anschlag war handfest, unzweideutig, prägnant. Er stemmt den mächtigen Dreiklang am Anfang des c-Moll-Konzerts kraftvoll aus den Tasten. Und selbst die schnellen Arpeggien waren so brillant herausgestanzt, dass man jeden einzelnen Ton deutlich artikuliert erkennen konnte. Das Pedal trat er so selten wie möglich, den verschwimmenden Rausch der Töne liebt er offenbar ebenso wenig wie den romantischen Rausch der Musik. Das heißt keineswegs, dass Glemser oberflächlich spielen würde. Der langsame Satz war tiefsinnig, erhaben gestaltet, bis zu kleinsten Nuancen genau ausformuliert. Und der Schlusssatz kam so feurig daher, wie man sich das nur wünschen kann. Also eine perfekte Darstellung des Konzerts, die das Georgische Kammerorchester unter der Leitung von Ruben Gazarian mit genau dosierten, fein abgezirkelten Effekten und schönen Bläsersoli sehr genau begleitete.

Großer Beifall, viele Bravorufe nach dem Klavierkonzert. Glemser bedankte sich dafür mit zwei Zugaben - und zeigte auf einmal ein gänzliches anderes künstlerisches Gesicht, eine Art Gegenprogramm zum Beethoven. Glemser wählte ein sprödes Spätwerk von Johannes Brahms aus, ein Intermezzo aus den Klavierstücken op. 118. Und auf einmal konnte er aus dem Flügel all den Glanz, all die Wärme, die Poesie herausholen, die man vorher ein wenig vermisst hatte. Er verwandelte das Charakterstück in ein polyfones Gebilde mit raffiniert aufleuchtenden Mittelstimmen. Eine grandiose Deutung, und wieder vollkommen stilsicher. Die zweite Zugabe, eine Etüde (op. 104b) von Felix Mendelssohn-Bartholdy, erwies sich dann als sportliche Übung für flinke Finger.

Nach der Pause stürmte Ruben Gazarian energiegeladen auf die Bühne, das Jackett hatte er abgelegt. Stand eine schweißtreibende Interpretation bevor? Tatsächlich ging der Chefdirigent mit äußerstem Engagement Beethovens "Eroica" an. Und gerade im Kopfsatz war Gazarians Einsatz manchmal schon fast zu viel des Guten: Musikalisches Dauervollgas ermüdet, wenn die notwendigen Ruhepunkte fehlen. Ab dem zweiten Satz ging Gazarian sehr viel ökonomischer mit den sinfonischen Mitteln um. Der Trauermarsch kam zügig und emotional niederschmetternd daher, das Scherzo tänzelte, das Finale war reißerische Revolutionsmusik. Eine moderne, zügige, klanglich raue und farbige, bläserlastige Darstellung, die vom Publikum gefeiert wurde. Und in der auch das stark erweiterte Georgische Kammerorchester mit Perfektion, Inspiration und emotionalem Einsatz glänzte.