Ingolstadt
Ein Piano-Talent

Michail Lifits gelingt ein grandioser, tiefgründiger Klavierabend im Ingolstädter Festsaal

08.03.2018 | Stand 02.12.2020, 16:43 Uhr

Herausragender Pianist: Michail Lifits spielt beim Konzertverein leise, verinnerlicht, langsam, nachdenklich, vergeistigt. Aber das auf einem so hohen Niveau, dass man ihn schon nach dem Besuch nur eines Konzerts in den pianistischen Olymp heben will. - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Man kann als Künstler auch dem Ruhm, dem Beifall, der rasenden Begeisterung des Publikums aus dem Weg gehen. Man kann all das vermeiden, was gemeinhin große Klaviervirtuosen auszeichnet: den donnernden Anschlag, die aufgeplusterte Attitüde, die manuelle Angeberei.

Der Pianist Michail Lifits ist anders. Er spielt leise, verinnerlicht, langsam, nachdenklich, vergeistigt. Aber das auf einem so hohen Niveau, dass wir ihn schon nach dem Besuch nur eines Konzerts in den pianistischen Olymp heben wollen. Ein Talent wie Michail Lifits begegnet man nur sehr selten, er zählt ohne Zweifel zu den besten Pianisten unserer Zeit.

Lifits hat für seinen Klavierabend beim Konzertverein Ingolstadt nur drei Werke aufs Programm gesetzt, Klavierstücke, die nicht allzu oft im Konzertsaal zu hören sind, weil sie keinen virtuosen Furor verbreiten, weil sie nicht einmal allzu schwer sind. Franz Schuberts Sonate Nr. 20 in G-Dur ist das Eröffnungsstück, nach der Pause folgen die 24 Präludien op. 34 von Dmitrij Schostakowitsch, zum Abschluss, als kraftvoller Rausschmeißer vom selben Komponisten, Präludium und Fuge d-Moll op. 87. Das ist schon alles.

Wenn wir an Schuberts Sonate denken, dann haben wir die Interpretation von Alfred Brendel, von Swjatoslaw Richter und vielen anderen großen Pianisten im Ohr. Sie alle scheinen eine bestimmte, fast tragische Geschichte zu erzählen. Von einer idyllischen, fast übertrieben traumschönen, volkstümlichen Melodienlandschaft, die plötzlich in der Durchführung in g-Moll von tsunamihaften Akkordstürmen hinweggefegt wird.

Der 35-Jährige geht anders vor. Auch er wird laut, auch bei ihm hört man den Sturm. Und doch: Sehr schnell lässt er den Aufbruch wieder in sich zusammenfallen, deutet die Schmerzenslaute nur noch an. Da ist kaum Wut zu spüren, da wird kein Idyll wirklich zerstört. Lifits kultiviert das Drama, von der Brutalität eines Richters ist da überhaupt nichts zu spüren. Umso verblüffender sind die ruhigen, poetischen Passagen. Je leiser Lifits spielt, je zurückhaltender, verträumter, distanzierter er die schwarz-weißen Tasten drückt, desto so farbiger, spannender wird seine musikalische Erzählung. Das ist Musik von faszinierender Schönheit, die einem zugleich das Blut in den Adern gefrieren lässt, weil sie so doppelbödig ist, süß und schockierend, lieblich und traurig zugleich. Wie abgründig, volkstümlich und depressiv kann er den kleinen Walzer im dritten Satz ausformen, was für ein Stimmungs-Irrgarten ist bei ihm der Schlusssatz. Lifits Darstellung ist so kontrolliert, so tiefsinnig, wie man sie sonst nur noch von so großen Pianisten wie Brendel oder Richter kennt.

Nicht viel anders ist es bei den Schostakowitsch-Präludien. Auch hier geht der Schüler des berühmten Klavierprofessors Karl-Heinz Kämmerling ähnlich zurückhaltend vor, spielt lieber leise und langsam, als dass er donnert. Dabei entfaltet er bei jedem dieser so höchst unterschiedlich komponierten Werke einen ganz eigenen Charakter. Da meint man beim ersten Stück in C-Dur das Grollen einer Orgel zu vernehmen, da sind immer wieder Anklänge an Debussy spürbar, auch Bach scheint auf sehr romantische Weise imitiert zu werden. Und manche Stücke sind wirklich witzig, andere wirken kindisch. Lifits ist hier ein kongenialer Interpret der fantastischen Musikwelten Schostakowitschs. Eindruck machen hier nicht die Virtuosität, die manuellen Fähigkeiten, sondern das tiefe Verständnis, die ungeheure Variabilität des Anschlags, die Ernsthaftigkeit und zugleich der Humor.

Am Ende dann noch ein Werk mit geradezu symphonischer Schlusssteigerung: Präludium und Fuge Nr. 24 op. 87. Aber auch hier ist feine Zurückhaltung spürbar. Lifits spielt die Fuge laut, aber er donnert nicht. Vielmehr wirkt das Klavierspiel lichtdurchflutet, strahlend, kraftvoll, ohne wirklich auftrumpfend zu sein.

Das Publikum spürt, einen ganz besonderen Klavierabend erlebt zu haben, jubelt, ruft Bravo und überzeugt den jungen Lifits davon, eine Zugabe zu geben, endlich doch noch ein sehr schweres Stück, Virtuosenliteratur: Rachmaninows Version von Fritz Kreislers Violinstück "Liebesleid". Der gebürtige Russe zeigt absolut herausragende Technik. Aber selbst hier: Understatement, die hingehuschten Terz- oder Sechst-Läufe und die Arpeggien wirken wie beiläufig aus der Tastatur geschüttelt. Was für ein Klavierwunder!

Einen Mitschnitt des Ingolstädter Konzerts sendet BR-Klassik am 16. Juni um 20.05 Uhr.