Ingolstadt
Die Zukunft ist jetzt und aus Silber

Die Dance Company Nanine Linning gastiert ab 6. Mai in Ingolstadt mit einem Stück über Menschen und Maschinen

27.04.2017 | Stand 02.12.2020, 18:14 Uhr

Sie wollen ihre Haut und ihre Seelen: Denn das ist das, was die Menschen den Robotern voraushaben. Noch, meint Choreografin Nanine Linning. In "Silver" entwirft die Niederländerin eine Erzählung über eine Beziehung, die schon sehr weit gediehen ist. - Foto: Theater Heidelberg

Ingolstadt (DK) Als die Dance Company Nanine Linning vor zwei Jahren erstmals am Ingolstädter Theater gastierte, mit der abendfüllenden Produktion "endless" über das Ende einer Liebe, staunte das Publikum jubelnd über ein berückendes Gesamtkunstwerk aus Tanz, Theater, Musik und Visual Arts. Nun sind die Niederländerin, die den Status des Shootingstars hinter sich gelassen hat und längst zuverlässig für aufsehenerregendes Tanztheater steht, und ihr Ensemble wieder zu Gast. Ab 6. Mai performt die seit 2012 am Theater Heidelberg angesiedelte Compagnie "Silver" - ein 80 Minuten langes Stück, das einen Blick auf die zukünftige Beziehung zwischen Mensch und Roboter wirft. Zukünftig? Warum "Silver" eigentlich die Gegenwart verhandelt, und das auf ziemlich beunruhigende Weise, erzählt die vielfach preisgekrönte Choreografin im Gespräch.

Frau Linning, worum geht es in "Silver"?

Nanine Linning: Eigentlich geht es um den nächsten Schritt der Entwicklung zwischen Roboter und Mensch. Ich habe viele Studien gelesen und mich mit Wissenschaftlern ausgetauscht, und ich bin darin bestätigt worden, dass der Moment, in dem die virtuelle Realität unser Leben übernimmt, ganz nah ist. Big Data, Klonen - es gibt schon jetzt so viele technische und biologische Möglichkeiten, die Zukunft ist schon da. In Japan kann man bereits Roboter als Partnerersatz kaufen, in den Labors sind die Entwicklungen weiter, als wir merken. Die Übernahme durch den Roboter wird sehr bald ein großes Thema für uns alle sein, aber wir haben noch keinen Diskurs darüber. Davon handelt "Silver".

 

Also ist es gar kein futuristisches Stück, als das es oft angekündigt wird?

Linning: Ne, ne, ne! (lebhaft). Als ich aufgewachsen bin, gab es die Science-Fiction-Welt, und deren Vorstellungen waren Spinnereien. Aber im Moment wird's ernst. Ich bin mir sicher, dass ich in meinem Leben noch die Möglichkeit haben werde, einen Roboter zu besitzen, der meinen Haushalt oder im Büro meine Sachen erledigt. Ich habe den von Honda entwickelten Roboter Asimo kennengelernt, in Tokio habe ich ihn besucht. Er ist 1,50 Meter groß, und er spricht 32 Sprachen, aber er spielt auch Fußball. Er hat viele Kameras in seinem Kopf, er kam auf mich zu und konnte mir sagen, wo ich geboren bin, wo meine Eltern herkommen und alle diese Dinge. Das ist schon sehr beeindruckend. Ich mag diese neue Welt und bin sehr offen dafür, auch weil das einfach auf uns zukommt, ob wir wollen oder nicht. Aber natürlich mache ich mir auch Sorgen, etwa, was es bedeutet, wenn meine Kinder nicht mehr ein Au Pair zu Hause haben, sondern einen Roboter. Und "Silver" ist ein bisschen eine dystopische Erzählung. In ihr sehen wir, wie die künstliche Welt langsam die Welt der Menschen übernimmt. Die Roboter benutzen die Menschen wie Versuchstiere, und am Ende wird auch klar, worum es ihnen die ganze Zeit geht: Sie wollen die Haut der Menschen und ihre Seele, die sie selbst nicht haben.

 

Warum haben Sie den Titel "Silver" gewählt?

Linning: Silber ist für mich die Farbe der Zukunft. Der Technologisierung. In Science-Fiction gibt es immer silberne Roboter. Es ist die Techno-Farbe, die Farbe der Kälte. Gold wäre eine Farbe des Menschen, mit Herz und Blut und Lebendigkeit und Passion. In Silber ist kein Herz, kein Blut drin.

 

Nun zeigen Sie auf der Bühne Maschinen und Menschen und, wenn ich recht verstanden habe, Zwischenstufen dieser Existenzen. Welche Bewegungssprache braucht es da?

Linning: Wir haben versucht, die Bewegungen des Roboters Asimo zu entschlüsseln. Und wir haben uns mit Breakdance auseinandergesetzt, mit dessen Styles Popping und Locking, die ja sehr mechanisch wirken. Nicht, dass wir Hip-Hop oder Breakdance auf die Bühne bringen! Aber diese Elemente, diese Isolation der Körper, die sich fast wie Roboter bewegen können, haben wir für unsere Tänzer als Basis genommen, wenn sie die Roboter darstellen. Wenn sie Menschen aus Fleisch und Blut darstellen, dann ist alles viel organischer, mehr legato, emotionaler, körperlich. Ein Liebesduett ist auch dabei! Wir setzen also wirklich die zwei Welten als Kontraste nebeneinander.

 

Wobei die Kontraste bald verschwimmen, oder?

Linning: Man sieht das Erwachen der Roboter: Die organisieren sich und vermehren sich, das geht ganz schnell, und nach nur zehn Minuten ist die Bühne ganz voll von diesen Robotermenschen. Und dann beginnen sie langsam mit den Menschen zu experimentieren, wobei sie selbst immer menschlicher, also Hybride werden. Zuletzt kann man kaum mehr sagen, sind das jetzt Roboter oder Menschen? Und genau das wird in 20, 30, 40 Jahren auch passiert sein. Jetzt hab' ich vielleicht noch einen Schrittmacher, wenn mein Herz nicht mehr richtig läuft, aber dann wird mein halber Körper ein Roboter sein. Diese hybride Form werden wir in den nächsten 50 Jahren alle real kennenlernen! Im Stück ist zuletzt nichts mehr übrig vom Original - der Mensch ist dann nur noch eine Erinnerung wie heute für uns die Gemeinschaft von Pompeji.

 

Das klingt ziemlich gruselig . . .

Linning: Ja und nein. Es ist eine hochspannende Vorstellung, auch grandios getanzt, die Tänzer sind wirklich stark. Natürlich ist es heftig - das Stück handelt von der Aktualität, die Inhalte sind real und keine Spinnerei. Aber es ist eine sehr visuelle Vorstellung. Visual Arts, Bildende Kunst, Tanz und Musik kommen sehr spannend zusammen, und es gibt viel Magie. Denn als Zuschauer kann man nicht verstehen, wie vieles funktioniert. Wir haben da etwa eine Geburt auf der Bühne, da wurde ein Material entwickelt, das wir für uns Urschleim nennen (lacht), und das ist wirklich so fremdartig, dass man es nicht durchschaut. Auch unser Bühnenbild ändert sich ständig auf höchst geheimnisvolle Weise. Man wird von Magie umhüllt, und am Ende bekommt man im Foyer auch noch eine Überraschung, eine interaktive Installation, die man sich nicht erklären kann. Also: Ich find's eigentlich nicht gruselig, sondern magisch.

 

Wie entwickeln Sie denn so magische Tricks?

Linning: Ich habe mit dem Ausstatter Bart Hess zusammengearbeitet, einem Künstler und Designer, der gar nicht aus dem Theaterbereich kommt. Er hat zum Beispiel bei Philipps im Zukunftslabor gearbeitet, wo man, was Materialien betrifft, Jahrzehnte vorausdenkt. Bart ist ein sehr spezieller Künstler - er hat übrigens auch wichtige Entwürfe für Lady Gaga gemacht, - den ich sehr schätze. Wir haben zusammen unter anderem Klone von mir entwickelt: Auf der Bühne sehen alle 12 Roboter gleich aus und zwar wie ich. Ich habe in einem 3-D-Scanner gelegen, und dann haben wir den Scan von meinem Kopf ausdrucken lassen und diese dreidimensionale Maske auf jeden einzelnen Tänzer-Kopf gesetzt.

 

Sie haben also Ihren realen Kopf zwölffach geklont gesehen. Was war das für ein Gefühl?

Linning: Sehr unheimlich. Unruhig. Fremd, sehr fremd. Spannend und verwirrend. Aber ich wollte eben auch für mich der Frage nachgehen, was wäre, wenn man mich klonen könnte.

 

Die Fragen stellte

Karin Derstroff.

 

"Silver" ist am 6. und 7. sowie am 20. und 21. Mai im Großen Haus des Stadttheaters zu sehen (samstags 19.30 Uhr, sonntags 19 Uhr). Kartenrelefon (08 41) 30 54 72 00.