Ingolstadt
Die Stunde der großen Tenöre

Ein erster Höhepunkt der Audi-Sommerkonzerte: Mozarts Oper "Idomeneo" mit Christoph und Julian Prégardien

18.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:32 Uhr

Schaukelnde Schiffchen und grandiose Interpreten: Kent Nagano dirigiert "Idomeneo" im Ingolstädter Festsaal. - Foto: Sauer/Audi

Ingolstadt (DK) Die Oper ist immer einiges mehr als nur Musik. Sie ist Theater, sie braucht eine Geschichte, die visuelle Opulenz, die Inszenierung. Vor dem Stadttheater stehen deshalb drei Säulen, auf denen kleine Schiffe dümpeln (Artistic Concept: Peter Schmidt). Im Festsaal sieht man sie wieder, zwischen den Reihen der Musiker des Concerto Köln.

Denn es ist Opernzeit bei den Sommerkonzerten, und die Schiffchen auf den Säulen erzählen bereits etwas von der Produktion: Mozarts "Idomeneo" steht auf dem Programm, ein Drama um stürmische Seefahrten, blutrünstige Meeresungeheuer, verzweifelte Menschen und unerfüllte Liebe. Die Schiffe sind kindlich klein, als wären sie aus Papier, und ergänzen die kargen, im Hintergrund projizierten Bilder einer Burg am Strand. Sie deuten lediglich eine Handlung ironisch an, aber das tut dem Abend keinen Abbruch. Denn umso gewaltiger ist die Musik.

Der Aufwand für diese Opernaufführung ist auch ohne große Inszenierung beeindruckend. Kent Nagano, Dirigent des Abends und Künstlerischer Leiter des Vorsprung-Festivals, hat für seinen "Idomeneo" passgenau die besten der besten Interpreten engagiert. Eines der berühmtesten Originalklang-Ensembles überhaupt, das Concerto Köln, liefert authentischen Mozart-Klang. Unter den Sängern stechen die beiden Prégardiens heraus: Vater und Sohn spielen König und Königssohn. Die Besetzung hat in diesem Fall besondere emotionale Dimension.

Dabei ist es durchaus problematisch, den Idamante von einem Tenor singen zu lassen. Mozart hat ursprünglich einen Kastraten für die Rolle des Königssohns, der von seinem Vater geopfert werden soll, vorgesehen. Heute wird diese Partie oft von Mezzosopranistinnen als Hosenrolle interpretiert. Nagano geht einen anderen Weg, weil er die Zuspitzung will, die verwandtschaftliche Nähe als musikalische Familienähnlichkeit: Tenor trifft auf Tenor. Das ist spannend - vielleicht gerade, weil Christoph Prégardien doch letztlich so völlig anders singt als sein Sohn Julian. Hier begegnet nicht nur eine reife Stimme jungem, unverbrauchtem Material. Es geht um mehr.

Was diesen Abend so bewegend macht, ist auch die Tatsache, wie genau die Stimmen bei dieser Besetzung auf die Charaktere passen. Julian Prégardien als Idamante hat den weicheren, vielleicht sogar etwas gefälligeren Tenor. Es schmeichelt dem Gehör, wenn Idamante mit seiner Liebe zu der gefangenen trojanischen Königstochter Ilja ringt. Das ist Überschwang des Herzens, Leichtigkeit der Jugend.

Wie anders der Tenor des Königs. Christoph Prégardiens Stimme ist substanzvoller, wirkt lauter, männlicher, manchmal ein wenig rauer. Und ihm gelingt es mehr als seinem Sohn, die Tragik der Situation verzweifelt herauszuschreien. Dabei nimmt sich Mozart zunächst sehr zurück. Der Schock, als Idomeneo seinem Sohn begegnet und erkennt, dass er ihn dem Gott Poseidon opfern muss, findet im Rezitativ kaum musikalischen Niederschlag - allenfalls ein aufschluchzendes Continuo-Cello ist zu hören. Idomeneo scheint es die Sprache verschlagen zu haben. Erst einen Akt später brüllt er, begleitet von Trompeten und Pauken, seine Frustration heraus, das Orchester rumort dabei, als wollte es einen Sturm schildern. Und im dritten Akt schließlich erleben wir einen gebrochenen, sehr leisen König. Christoph Prégardien singt das erschütternd, mit fast tonloser Stimme. So wie er in anderen Passagen an seine stimmlichen Grenzen geht, aufschreit, wütet über sein Schicksal. Da ist nicht mehr jeder Ton wirklich schön getroffen, und die Koloraturen überfordern den großen, alten Sänger. Und doch: Die Intensität des Ausdrucks übertrifft alles.

Den beiden großen Sängerpartien sind zwei gewichtige Frauenrollen gegenübergestellt, auch sie im gleichen Stimmfach: Sopran. Ilia konkurriert mit Elektra um den Königssohn Idamante. Auch hier ist es Nagano gelungen, die beiden Rollen völlig unterschiedlich zu besetzen: die Ilia mit der noch studierenden, aber grandios singenden Christina Gansch und die Elektra mit dem Salzburg-Star Marina Rebeka, deren Stimme förmlich den Saal erbeben lässt. Ihre Eifersuchts-Arie im dritten Akt ist so furios gestaltet, dass das Publikum überwältigt die Sängerin mit Bravorufen feiert. Aber Rebekas Stimme transportiert den Hass fast schon zu mühelos in den Saal. Christina Gansch ist der lyrische Gegenpol, sie leidet an ihrer Liebe. Selbst dann noch, wenn sie sich eigentlich freut, ist in ihrer Stimme ein wehmütiger Zwischenton.

In der Produktion sind selbst die kleineren Rollen fantastisch besetzt. Magnus Staveland singt einen maskulinen, kraftvollen Arbace (auch eine Tenorpartie). Und Henning von Schulmann ist ein Orakel mit eindrucksvoller Bass-Urgewalt.

Das Concerto Köln, das am Vorabend noch eine so feinabgestufte, melodienselige "Pastorale" von Beethoven gestaltete, ist diesmal eine geradezu aggressiv agierende Truppe: Ruppige Klangrede dringt in den Saal, kühle vibratolose Töne, heftige Attacken und immer wieder seufzende Wehmut. Das ist fantastisch gespielt unter der Leitung von Kent Nagano, ein düsteres Sturm-und-Drang-Erlebnis.

Und dann ist da noch die Audi-Jugendchorakademie, die auch an diesem Abend wieder glänzend agiert. Die Gefühlserschütterungen des Orchesters werden durch die Aufwallungen des Chores noch wuchtiger, noch wilder. Es ist fantastisch, einen Chor mit solch präziser Durchschlagskraft, aber auch mit so brillanten Solisten zu erleben.

Zweifellos ein letzter Glanzpunkt in einer in jeder Hinsicht grandiosen Produktion. Das Ingolstädter Publikum wirkt an diesem Abend geradezu südländisch extrovertiert und überschüttet das Ensemble mit endlosem Beifall und stürmischen Bravochören. Eine Inszenierung hat wohl niemand vermisst.