Ingolstadt
Die Not des einfachen Soldaten

30.04.2015 | Stand 02.12.2020, 21:21 Uhr

Das Original des Ausstellungsplakats: »Bonaparte überschreitet die Alpen auf dem Pass des Großen Sankt Bernhard«, gemalt von Jacques-Louis David 1802. - Foto: HdGB

Ingolstadt (DK) Die Landesausstellung „Napoleon und Bayern“ in Ingolstadt richtet ihren Blick oft auf Kriege und Schlachten. Plastisch verdeutlicht sie dabei, was viele ?Menschen damals erlebt haben und ?erdulden mussten.

Bescheiden waren sie schon damals nicht, die Bayern: Gerade hatte sich das Kurfürstentum 1805 auf die Seite Napoleons geschlagen, da stellte es schon hohe Ansprüche an die neue Landkarte Mitteleuropas, die der Kaiser der Franzosen gerade zeichnete. Obwohl Bayern schon einen erheblichen Gebietszuwachs zu verzeichnen hatte, gab der Gesandte des künftigen Königreichs, Karl Ernst von Gravenreuth, immer noch keine Ruhe.

Die Zugewinne im heutigen Bezirk Schwaben waren ihm noch zu mickrig. Schließlich war es vorbei mit der kaiserlichen Ruhe und Napoleon riss der Geduldsfaden: „Wie, das ist noch nicht genug“, schnauzte er den Gesandten an. Aber dann fuhr er fort: „Nun gut. Nehmen Sie, nehmen Sie!“ So beschreibt es der Historiker Marcus Junkelmann in seinem Buch „Napoleon und Bayern“ (Pustet Vlg.). Am Ende konnte von Gravenreuth sicher sehr zufrieden sein: Bayern erfuhr seine größte Umgestaltung seit dem Mittelalter und streckte sich aus zu einem imposanten Königreich mit neuen Landesteilen von Schwaben über Franken bis zu vorher eigenständigen kirchlichen und städtischen Gebieten.

Für Bayern markiert die napoleonische Epoche noch mehr als für andere Gebiete ein historisches Gravitationszentrum, um das viele Ursachen und Wirkungen kreisen und an dem sich viele Entwicklungslinien schneiden. Die Bayerische Landesaustellung 2015 schleppt mit dem Titel „Napoleon und Bayern“ ein großes Thema in das Neue Schloss zu Ingolstadt. Doch die Schau versteht es, den Brocken so zu portionieren und zu garnieren, dass er nicht im Magen liegt. Die bayerische Welt des anbrechenden 19. Jahrhunderts tritt dem Besucher mit ihrem gesamten Eigengewicht entgegen und fächert ihren Kosmos auf, ohne vom Stock historischer Vergleiche gestützt zu werden. Wer sich auf die Ausstellung „Napoleon und Bayern“ einlässt, erhält die Chance, sich die Umbruchszeit um 1800 plastisch vor Augen zu führen.

 

Möglich wird das vor allem durch viele damals handelnde Personen, die mithilfe der ausgestellten Stücke sehr direkt zu den Besuchern sprechen – und sie so sehr unmittelbar an ihren Freuden und Leid teilhaben zu lassen. Wobei wohl das Leid in der Summe überwiegt. Dass die napoleonische Zeit in der Ausstellung vor allem mit Kriegszügen und Schlachten auf sich aufmerksam macht, ist nicht nur der Heimat der Ausstellung, dem Bayerischen Armeemuseum geschuldet, sondern entspricht auch ihrem Charakter. Der Krieg ist hier der Vater zumindest vieler Dinge; nicht zuletzt des Aufstiegs von Napoleon selbst vom korsischen Klein-Adeligen zum Kaiser der Franzosen und Beherrscher fast ganz Europas.

Doch ist der Blick auf den Krieg in der Ausstellung „Napoleon und Bayern“ kein ferner und theoretischer, der mit abstrakten Skizzen und nüchternen Erörterungen in zurückgezogener Position verharrt. Das große, dicke, kräftige Plus der Ausstellung ist die Mühe, die sie sich macht, den Alltag dieses Krieges wieder lebendig werden zu lassen. So zynisch das Wort „lebendig“ in diesem Zusammenhang klingen mag. Der Totenschein für den Soldaten Simon Osmayr, „29 Jahr alt“, der gezeichnete Abschied des Soldaten Jakob Wimmer von seinem Bruder Simon, der kurz darauf im Lazarett stirbt, die Uniform des gefallenen Grafen Arco, an der noch die Blutspuren zu sehen sind, ein Helm zum Aufsetzen, Andreas Hofers Feldflasche, Votivtafeln, aber auch eine Arbeitsmappe bayerischer Beamten – es sind viele Kleinigkeiten, die die Besucher nah an die Menschen der napoleonischen Zeit heranziehen.

Neben den kriegerischen Auseinandersetzungen, die breiten Raum einnehmen (aber in der Inszenierung einer Schlacht recht harmlos wirken, das hätte man durchaus eindringlicher inszenieren können), behält die Ausstellung aber auch die politischen Dimensionen im Blick. In deren Erzählung gelingt der Ausstellung der Spagat zwischen „ernsten“ Entscheidungen und dem „bunten“ Treiben dahinter, von den soap-opera-haften Verwicklungen um den Stand des Aufsteigers Napoleon bis zum Wiener Kongress, auf dem der bayerische König Max I. Joseph beim Kartenspiel einen Kristallbecher gewinnt, der auch in der Ausstellung zu sehen ist. Was etwas kurz und eher en passant verhandelt wird, ist die innenpolitische Komponente der napoleonischen Zeit: die Bauernbefreiung, die Verfassung, die Errungenschaften von Freiheit und Gleichheit, die nun auch in Bayern wirkmächtig werden.

Insgesamt aber führt die Landesausstellung „Napoleon und Bayern“ die Besucher auf packende Art durch eine sehr bewegende und bewegte Epoche; in der es – wie es das räumliche Konzept deutlich macht – oft hieß „auf geht’s“, in der es aber oft auch wieder ganz nach unten ging. Am Ende steht symbolisch für die zwiespältige Bilanz der Zeit Napoleon als gebrochenes Vexierbild. Und der Beweis, wie gemein der chinesische Fluch „Mögest du in interessanten Zeiten leben“ tatsächlich ist.