Ingolstadt
Die Faszination der Moderne

Die Pianistin Aurelia Shimkus gastierte beim Abonnementkonzert des Georgischen Kammerorchesters

10.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:14 Uhr

Feine Anschlagskunst, erschütternde Klangeruptionen: Aurelia Shikus spielt das Klavierkonzert von Alfred Schnittke. - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Von allen Kulturbegeisterten sind die Klassikfreunde sicherlich die konservativste Fraktion. Bei Veranstaltern gelten oft schon Werke aus dem frühen 20. Jahrhundert als Publikumsschreck, die für ausgedünnte Reihen im Konzertsaal sorgen.

Umso erstaunlicher das neunte Abonnementkonzert des Georgischen Kammerorchesters (GKO) am Donnerstagabend. Denn ausgerechnet das modernste und sperrigste Stück des Abends, das Klavierkonzert von Alfred Schnittke aus dem Jahr 1979, fand den größten Zuspruch des Publikums, wurde sogar mit Bravorufen gefeiert - und das an einem Abend, bei dem durchaus auch süffige Werke von Mozart geboten wurden.

Schnittkes Klavierkonzert besticht durch Ernsthaftigkeit und musikalische Magie. Der gebürtige Russe schreibt Musik von geradezu existenzieller Dringlichkeit. Nicht das saftige Melos, der samtige Streicherklang, der vollmundig ausgekostete Wohlklang beeindrucken hier - sondern eher das Gegenteil: die Andeutungen, die verzerrten Zitate von Bach und Schostakowitsch, die Pausen, die Intervalle, die sich kaum zu Melodien verfestigen wollen, die Zerstörungswut dieser Musik, die mit brachialen Dissonanz-Eruptionen des Klaviers den weichen Streichergesang erdrücken. Diese Musik lässt ein ganzes Musik-Universum aufleuchten: Sie klingt mal nach Bach, mal wie Minimal Music oder die Maschinenmusik von Schostakowitsch oder wie eine Jazzcombo.

Aurelia Shimkus spielte den Klavierpart am Donnerstag mit großem Körpereinsatz, von den milden Einzeltönen bis zu den schneidenden Cluster-Einwürfen. Das GKO hingegen konnte unter Leitung von Andreas Hotz der elektrisierenden Wucht der jungen lettischen Pianistin nur schwer eigene Intensität entgegensetzen.

Beim zweiten Werk der 20-jährigen Pianistin allerdings waren die Rollen eher vertauscht: In Mozarts Klavierkonzert KV 246 konnte Aurelia Shimkus kaum mit Virtuosität verblüffen, dazu ist der Klavierpart, der für die Gräfin Antonia Lützow komponierte wurde, technisch allzu anspruchslos. Während die Lettin in den Ecksätzen eine muntere, cembalohafte Wendigkeit bei all den komplizierten Figuren, den Trillern, schnellen Läufen, sprudelnden Arpeggien bewies, enttäuschte der schöne langsame Satz ein wenig. Hier ist vielleicht noch mehr Erfahrung und Reife nötig, um die ruhigen Melodien wirklich ergreifend mit großem Atem darstellen zu können.

Hotz, derzeit GMD am Theater Osnabrück, stellte zwei Orchesterwerke an dem Abend gegenüber: Anton Weberns Frühwerk "Langsamer Satz für Streichorchester" und Mozarts Sinfonie KV 319. Die Anforderungen könnten da natürlich kaum gegensätzlicher sein. Den spätromantischen Webern (der ein wenig Schönbergs "Verklärter Nacht" ähnelt) gestaltete Hotz erstaunlich nüchtern und analytisch, weiche Vibrato-Exzesse vermied er: ein Versuch, Webern eher vom Standpunkt seiner späteren, streng konstruierten Zwölfton-Stücken aus zu verstehen.

Wunderbar auch gelang die Mozart-Sinfonie: Hotz weiß um die Bedeutung eines ständig vorwärtsdrängenden Tempos. Vor diesem Hintergrund ließ er die Georgier stilsicher mit kammermusikalischer Leichtigkeit, verführerischer Eleganz, spielerischer Charakterisierungskunst durch die Partitur tänzeln: ein wohliger Ausklang eines durchaus anspruchsvollen Konzertabends.