Ingolstadt
"Die East Side Gallery wird zur Mickymaus-Mauer"

Regisseurin Karin Kaper über die Gefährdung des Berliner Denkmals und ihre filmische Dokumentation darüber

28.09.2015 | Stand 02.12.2020, 20:45 Uhr

Zeigt ihren Film über die East Side Gallery morgen in Ingolstadt: Regisseurin Karin Kaper ist im Audi-Programmkino anwesend - Foto: Szuzsies

Ingolstadt (DK) Vor 25 Jahren bemalten Künstler ein Stück der gerade erst geöffneten Berliner Mauer. Es entstand die East Side Gallery. Nicht nur Schmierereien oder Wettereinflüsse gefährden mittlerweile dieses Denkmal. Die Bebauung rückt an die Mauer heran. Auch wurden Mauerteile für Bauarbeiten entfernt. Die Regisseurin Karin Kaper hat zusammen mit ihrem Partner Dirk Szuszies erste Restaurierungsarbeiten im Jahr 2009 durch eine Künstlerinitiative in einem Film dokumentiert, der morgen im Audi-Programmkino in Anwesenheit der Regisseurin gezeigt wird.

 

Frau Kaper, der Verlauf der ehemaligen Berliner Mauer wird am Potsdamer Platz mit eingelassenen Markierungssteinen gezeigt. Was kann ein Kunstobjekt wie die East Side Gallery mehr an Erinnerungsarbeit leisten als solche Markierungen?

Karin Kaper: Die Berliner East Side Gallery wird von sehr vielen Touristen besucht, die hier die Originalmauer sinnlich wahrnehmen. Das Original ist das Wesentliche. Es gibt an der Bernauer Straße eine Gedenkstätte, wo man mit viel Geld die Mauer nachgebaut hat. Aber das ist etwas anderes. Die Originalmauer der East Side Gallery führt über 1,3 Kilometer Länge und ist von 118 internationalen Künstlern bemalt worden. Und das in einem ganz besonderen Moment, kurz nach Öffnung der Mauer. Es war dieser Moment der Freude über die Freiheit, über Menschenrechte. Dadurch ist die East Side Gallery ein großes Symbol für Frieden.

 

Was ist das Besondere der Mauerkunst?

Kaper: Es ist die große Vielfalt. Und es ist die spontane Aktion, die dahintersteht. Die Künstler wussten damals noch nicht, dass diese Kunst bestehen bleibt. Außerdem transportiert die Kunst auch den emotionalen Moment der Geschichte.

 

Warum ist es so wichtig, dass die East Side Gallery möglichst frei steht?

Kaper: Es ist ein Skandal, dass ein großes Hochhaus direkt auf den Todesstreifen, dicht an die Mauer, gesetzt wurde. Auf der anderen Seite beim Mercedes-Areal rücken Vergnügungsstätten und eine Einkaufsmeile an die Mauer heran. Die East Side Gallery verkommt, obwohl sie unter Denkmalsschutz steht, fast zur Mickymaus-Mauer. Über die Proteste und den Bürgerentscheid hinweg wird da jetzt gebaut. Obwohl die Uferstreifen frei bleiben sollten!

 

Zeigt eine dichtere Bebauung nicht auch, dass die Zeiten anders sind, dass die Trennung überwunden ist?

Kaper: Es gibt sonst kaum noch Orte mit Mauerresten oder Hinweise auf die ehemalige Mauer. Touristen und Berliner selbst laufen über den ehemaligen Verlauf hinweg. Die Lücken werden oder sind bereits geschlossen. Deshalb ist es wichtig, einen Ort zu haben, wo man fühlen, schauen und sich vorstellen kann, wie die Situation einmal war. Die East Side Gallery war die Hinterlandmauer. In Berlin bildete auch die Spree die Mauer. Und dort gab es ganz schlimme Momente, die wir auch dokumentieren. Es ertranken Kinder im Fluss, die Westberliner Feuerwehr traute sich nicht zu retten, während auf der Ostseite die Grenzpolizei zu spät kam.

 

Wie wichtig ist die East Side Gallery noch für die Berliner?

Kaper: Eigentlich wenig. Aber es gibt Aufregung, wenn mal wieder ein Stück der Mauer herausgenommen und versetzt wird wie eben für die Bauarbeiten. Denn dadurch wird der Gesamteindruck zerstört. Da wehren sich die Berliner schon.

 

Zu Ihnen: Sie sind ausgebildete Schauspielerin, haben als solche auch erfolgreich gearbeitet. Was war der Anlass zum Wechsel ins Regiefach?

Kaper: Mein Partner Dirk Szuszies und ich haben eine große Reise durch Asien unternommen. Dabei kamen wir in das sogenannte Shan-Gebiet in Myanmar. Dort steht ein Palast, in dem eine Österreicherin als Shan-Prinzessin gelebt hat. Wir wollten das unbedingt erzählen und sind mit der Idee zu einem Film an den Bayerischen Rundfunk herangetreten. Daraus wurde „Die letzte Mahadevi“. Jetzt ist ein Spielfilm zu demselben Thema entstanden. Wir bringen deshalb unsere Doku ins Kino und bringen eine DVD heraus. Das war der Start, so sind wir ins Rollen gekommen.

 

Warum haben Sie sich auf Dokumentarfilme spezialisiert?

Kaper: Das Spannende am Dokumentarfilm ist, dass es kein Drehbuch gibt. Man hat zwar seine Ideen und weiß, wie man an ein Thema herangehen will. Doch die Geschichte birgt oft so viele Überraschungen, dass man an Ort und Stelle schnell und aktuell reagieren muss. Der Film kann am Ende anders aussehen, als man es sich gedacht hat. Eine Dokumentation ist aktueller und spannender als ein Spielfilm. Zumal man an soziale Brennpunkte herankommt und wunderbare Protagonisten und Gesprächspartner hat. Einen Dokumentarfilm zu drehen ist ein großes Abenteuer.

 

 

Dokumentarfilm „Berlin East Side Gallery“ am Mittwoch, 30. September, 20 Uhr, im Audi-Programmkino.