Ingolstadt
Der Grenzgänger

Adolf Fleischmann verband Kunst und Medizin: Vernissage an diesem Samstag im Museum für Konkrete Kunst Ingolstadt

23.10.2015 | Stand 02.12.2020, 20:38 Uhr

Später Erfolg: Erst mit fast 60 Jahren fand Adolf Fleischmann zu einem eigenen Stil und eroberte mit seinen flirrenden Bildern die Kunstszene New Yorks (Foto oben, 1953). Bis dahin ließ er sich von berühmten Kollegen inspirieren (rechts, 1949). Meisterschaft bewies er früh als Moulageur, wie hier bei der Abbildung eines rezidierenden Kropfes. - Foto: Museum für Konkrete Kunst

Ingolstadt (DK) Adolf Fleischmann, um den es in dieser wundersamen Ausstellung geht, wurde 1892 in Esslingen geboren und starb 1968 in Stuttgart. In den Jahren dazwischen lebte er in Zürich und Berlin, floh vor den Nazis nach Spanien, Italien, Frankreich, fand Zuflucht in einem kleinen Dorf bei Toulouse und emigrierte nach dem Krieg schließlich nach New York.

Bei seinem Tod hinterließ er ein renommiertes künstlerisches Werk in seinem unverwechselbaren Stil, zu dem er erst als fast 60-Jähriger gefunden hatte. Und 400 Wachsabbildungen kranker Körperteile (Moulagen), die er als wissenschaftlicher Mitarbeiter für das Zürcher Kantonsspital gefertigt hatte. „Berufung“ und „Brotberuf“ nennt die Ausstellung „Surface. Adolf Fleischmann. Grenzgänger zwischen Kunst und Medizin“ diese Pole, zwischen die sie sich spannt: auf eine, das sei vorweg gesagt, äußert lehrreiche, lebendige, herrlich theatral inszenierte und naturgemäß interdisziplinäre Weise.

Die Leiterin des Museums für Konkrete Kunst in Ingolstadt, Simone Schimpf, und die des Deutschen Medizinhistorischen Museums, Marion Ruisinger, haben sich zu diesem ungewöhnlichen Gemeinschaftsprojekt zusammengetan und erst mal ihre Kernkompetenzen eingebracht. Ja, es gibt auf den zwei Stockwerken eine Kunstausstellung, die in rund 60 Werken (nur eines gehört übrigens dem Ingolstädter Museum selbst) den langen Weg Fleischmanns zu seinem eigenen Stil, jener flirrenden, an L-Formen und waagrechten Linien orientierten Malerei, nachzeichnet. Die ehrlich sichtbar werden lässt, dass der akademische Künstler lange ohne originäre Kraft Strömungen der damals aktuellen Stile aufgriff und erprobte. Ehe ihn, und auch das ist zweifelsfrei zu sehen, in den späten Jahren der Ruhm zu Recht erreichte. Wie überzeugend die beiden großen Arbeiten im vorderen Foyer des ersten Stocks, diese vor den Augen wogenden Farblinien, mit denen Fleischmann seine Meisterschaft beweist!

Und ja: Es gibt, im hinteren Foyer, eine medizinhistorische Abteilung, ein (wunderbar pittoreskes) Labor gewissermaßen mit Werkzeugen zum Moulagieren, zu den Farben und Wachsen, vor allem aber mit schrecklich schönen, packend naturgetreuen Moulagen. Wachsabbildungen von Kröpfen, Hautkrebs, Stromschlagwunden auf erschreckend lebensechten Körperteilen; individuelle Fälle und Patienten, mit denen Fleischmann arbeitete. Sie zeigen, dass er auch hier ein Meister war.

Dass aber beide Bereiche nicht getrennt nebeneinanderstehen, dass sie sich verzahnen ineinander und mit Biografischem, ist die große Qualität dieser Schau. Denn zusammen mit Kuratorin Anna Katz und der einstigen Bühnenbildnerin des Stadttheaters, Claudia Rühle, nun im Medizinhistorischen Museum angestellt, stellen Schimpf und Ruisinger ein ganzes Künstlerleben komplex und atmosphärisch in den Raum. Hochkarätige Legenden bündeln Lebensabschnitte, erklären mit Texten, Fotos, Briefen historische und individuelle Zeiten, führen hin zu Kunst und medizinischem Kunsthandwerk und ins private Leben. Fleischmanns Internierung in Frankreich, seine Ehe mit Elly Abendstern, deren jüdischer Mann von den Nazis im KZ ermordet wurde (von Abendsterns noch lebendem Sohn stammen die persönlichen Exponate), der Neuanfang in New York – all das und noch viel mehr ist da, all das ist so detailreich wie klar und strukturiert.

Und immer wieder pointiert präsentiert: An einem Rettungsring der MS Queen Elizabeth (auf ihr reiste das Ehepaar 1952 nach Amerika) etwa und der natürlichen Reling des Museumsgeländers vorbei geht es in den ersten Stock, der Fleischmanns New Yorker Jahren vorbehalten ist, direkt in sein Wohnzimmer. Aus den Museumsfenstern blickt man auf die Brooklyn Bridge: Fensterfüllende Schwarz-Weiß-Fotos, von Jalousien gerahmt, ermöglichen denselben Blick, wie Fleischmann ihn einst hatte.

Kunst hier oben ansonsten überall: Die flirrende, konzentrierte, junge, unverwechselbare des bei sich angekommenen Adolf Fleischmann. „Er ist einer der Großen, zu Unrecht Vergessenen“, sagt MKK-Leiterin Simone Schimpf. Und hofft, dass das ungewöhnliche, hochspannend geratene Gemeinschaftsprojekt zur überfälligen Fleischmann-Renaissance führen könnte. Immerhin: 2016 geht die Schau an die Berliner Charité, und jetzt schon geben sich überregionale Medien die Klinke in die Hand, um über den Grenzgänger zwischen Kunst und Medizin zu berichten.

Bis 28. Februar, 10 bis 17 Uhr, am 1. November geschlossen.