Ingolstadt
Den Wahnsinn in der Stimme

"Lucia di Lammermoor" als Gastspiel aus Meiningen mit der hinreißenden Sopranistin Elif Aytekin

08.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:32 Uhr

Betörend in der Wahnsinns-Szene: Elif Aytekin als Lucia in Donizettis Oper. - Foto: Theater Meiningen

Ingolstadt (DK) Es kommt vor, dass der Glanz und der Erfolg einer gesamten Produktion fast ausschließlich bei einer einzigen Darstellerin liegen.

Beim Ingolstädter Gastspiel von Gaetano Donizettis tragischer Oper "Lucia di Lammermoor" des Südthüringischen Staatstheaters Meiningen konnte man sich des Eindrucks kaum erwehren, dass ein solcher Fall vorliegt. Denn die Darstellerin der Titelpartie, Elif Aytekin, spielt und singt so eindrücklich, so leidenschaftlich, dass man wie gebannt ist von dieser Erscheinung, die alle anderen Sänger und auch die allzu konventionelle Inszenierung von Ansgar Haag überstrahlt.

Dabei ist der erste Auftritt der Sängerin zunächst fast irritierend. Elif Aytekins Stimme ist ungewöhnlich. Sie leuchtet nicht so metallisch-gesund und kraftvoll wie diejenige etwa von Polina Artsis als Alisa, ihrer Vertrauten. Vielmehr ist sie dunkelgetönt, ja verschattet. Aber in ihrem dunklen, flatterhaften Charakter spiegelt sich ein riesiges Spektrum an Melancholie, an Verzweiflung, an zeitweiligem verliebtem Überschwang, ja, an Irrsinn. Aytekins Stimme tremoliert stark und warm, so deutet sich in dieser Gefühlsintensität jedes einzelnen Tons bereits der Hang zum Nervösen, zum Übersteigerten, zum Manisch-depressiven an. Überhaupt ist die Nähe zum Wahnsinn vom ersten Augenblick an spürbar. Denn Elif Aytekin ist auch eine ergreifende Darstellerin, die unsicher immer wieder die Hände erhebt, gestikuliert, sucht, als wolle sie irgendwo Halt finden. Die ihr Gesicht ständig verzieht, als könnte sie die einzig wahre und richtige Mimik nicht finden. In all ihrer Schönheit und Faszination ist ihre Lucia ein labiles Nervenwrack vom ersten Augenblick an. Und so zerbrechlich Aytekin in den ersten Szenen wirkt, so überwältigend virtuos singt sie dann die verzwickten Koloraturen der schier endlosen Wahnsinns-Arie, begleitet von den unwirklichen Klängen der Glasharmonika.

Ihr intensives Spiel wird sogar noch durch einen Kunstgriff der Inszenierung unterstützt. Denn Ansgar Haag hat ihr als Alter Ego ein Gespenst an die Seite gestellt, eine blutverschmierte Doppelgängerin, eine gruselige Personifikation ihrer düsteren Vorahnungen und Ängste.

Haag und sein Bühnenbildner Christian Rinke lassen die Geschichte in einer romantisch-morbiden Szenerie spielen, einem teilweise in Trümmern liegenden schottischen Landhaus, die Decke herausgebrochen, die Wände zerborsten, in dem es von Männern in Militärmänteln wimmelt. Eine Atmosphäre wie nach einem verlorenen Krieg, ein Sinnbild für eine marode Gesellschaft. Ansonsten verlässt sich Haag auf das dramatische Geschick seiner Darsteller. Und das ist recht unterschiedlich. Während Dae-Hee Shin als Enrico mit fester Stimme und viel Häme und Zynismus das Schicksal seiner Schwester steuern möchte, kann etwa Xu Chang als Liebhaber Edgardo viel weniger überzeugen. Er agiert in den Liebesszenen, als wüsste er eigentlich nicht, wovon er überhaupt singt, ein Tenor mit beträchtlicher vokaler Durchschlagskraft, aber starr und oft ausdruckslos. Vorzüglich besetzt sind die Nebenrollen, Siyabonga Maqungo etwa als Normanno und auch Mikko Järviluoto als Raimondo, ebenso bemerkenswert ist der helle Rossini-Tenor von Daniel Szeili. Makellos und sicher singt der Opernchor, und auch die Meininger Hofkapelle unter der Leitung ihres GMD Philippe Bach erzeugt auf hohem Niveau schottische Schauer-Stimmung.