Ingolstadt
Das unbekannte Stück

03.02.2014 | Stand 01.02.2017, 14:43 Uhr

Lasen im Neuen Schloss vor vielen Interessierten: Matthias Zajgier als Karl I. und Victoria Voss als seine Frau Henrietta - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) „England, Irland und Schottland, ein Reich! Ich hab’s ganz fest im Kopf, denn kommen muss es, und Karl will, dass es unter ihm kommt“, sagt Karl I. Er will die Pläne seines Vaters, Jakob I., realisieren. Der protestantisch erzogene Sohn Maria Stuarts hatte, als Elisabeth I. 1603 kinderlos starb, als Ururenkel des englischen Königs Heinrich VII. den englischen Thron bestiegen. Doch schon bald hatte sich eine Parlamentsopposition des Landadels und Bürgertums gegen seine absolutistischen Neigungen gebildet. Nach Jakobs I. Tod 1625 folgte ihm sein Sohn Karl I. auf den Thron. Die Konflikte mit dem Parlament blieben, und in der Folge berief er es gar nicht mehr ein. Elf Jahre lang. Doch jetzt benötigt er seine Hilfe, seine Zustimmung. Denn er braucht den Krieg, um seine Macht zu sichern. Der Krieg kostet Geld. Und dieses Geld muss das Parlament bewilligen.

„Karl Stuart“ heißt das Historiendrama von Marieluise Fleißer, ein Stück über den Kampf um Macht und Glaube, Monarchie und Parlamentarismus, das sie während des Zweiten Weltkriegs schrieb und das bis heute weitgehend unbekannt ist. Nicht nur der Figur wegen, um die ihr Drama kreist, sondern auch, weil es ein ganz untypisches Werk der Fleißer ist – in Thema und Sprache. Weit entfernt von den Stücken, die sie berühmt gemacht haben. Erst ein einziges Mal wurde „Karl Stuart“ aufgeführt – vor fünf Jahren in Dortmund. Mit zweifelhaftem Erfolg. Zum 40. Todestag der Ingolstädter Autorin hat das Stadttheater Ingolstadt das Stück zwischen Königsdrama und Politthriller nun auf den Spielplan gesetzt – allerdings nur als einmalige Lesung und mit Bürgerbeteiligung im Neuen Schloss. Dort gab es am Sonntagabend überraschend großen Andrang.

Chefdramaturg Donald Berkenhoff hat dazu eine Fassung erarbeitet, die „ein bisschen Wildwuchs eliminiert“ und hauptsächlich dem Erzählstrang um Karl Stuart (gelesen von Schauspieler Matthias Zajgier) folgt. Man erfährt von seinen Plänen, lernt seine Vertrauten Graf Strafford (Olaf Danner) und den Erzbischof von Canterbury (Pavel Fieber) kennen, seine Frau Henrietta (Victoria Voss), Gegenspieler wie Oliver Cromwell (SPD-Stadtrat Manfred Schuhmann), taucht ein ins Schlachtgetümmel und wird Zeuge des Prozesses, in dem Karl vom Parlament zum Tode verurteilt wird. „Karl Stuart, dem Urteil hier gesprochen ist, wird als Tyrann, Verräter, Mörder und des Gemeinwesens Feind in solcher Eigenschaft vom Leben zum Tode gebracht durch das Beil, auf dass er länger nicht Schaden stiftet.“ An einem kalten Januartag des Jahres 1649 wird das Urteil in Whitehall vollstreckt.

Gelesen wird an wechselnden Orten: Man wandert vom Eingangsbereich des Schlosses in die verschiedenen Räume, in die Hauskapelle und wieder zurück und erlebt die Enthauptung Karls – wegen Regens – in der Dürnitz. Man wollte mit der Architektur des Schlosses spielen, doch genau dieses Hin und Her ist bei diesem großen Publikum eigentlich störend, lenkt ab vom Eigentlichen, von den Figuren, vom Text. Dabei lässt Donald Berkenhoffs kluge Strichfassung tatsächlich viel von dem getriebenen Herrscher erahnen, der sein Land in zwei Bürgerkriege stürzte und an sich selbst zugrunde ging. Und auch davon, warum Marieluise Fleißers Stück so unspielbar ist.