Ingolstadt
Das freilaufende Gänsefüßchen

Bruno Jonas gastiert im Ingolstädter Festsaal und betrachtet in seinem Programm "Nur mal angenommen" die Welt im Konjunktiv

19.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:28 Uhr
Klugscheißen im Konjunktiv: Bruno Jonas im Festsaal des Stadttheaters Ingolstadt. −Foto: Weinretter

Ingolstadt (DK) Dunkelgrauer Anzug, gepunktete Krawatte, weißes Hemd: Biederer geht es kaum. Wenn da nicht dieser merkwürdige schwarze Hut wäre. So eine Art geschrumpfter Zylinder. "Gell, schaut blöd aus, aber mir gfoit er", meint Bruno Jonas und eröffnet damit seinen Kabarettabend im Ingolstädter Theaterfestsaal. Um dann den wahren Sinn der Kopfbedeckung zu erläutern: Der sei eigentlich "ein ironisches Accessoire". Seine Worte könne man jetzt je nach Bedarf so oder auch anders verstehen.

Na ja, was soll man erwarten. Das neue Programm trägt schließlich den Titel "Nur mal angenommen". Das eröffnet konjunktiver Gedankenspielerei Tor und Tür. Und man läuft niemals Gefahr, auf irgendeinen Standpunkt festgenagelt zu werden. Man befindet sich ja nur auf der intellektuellen Spielwiese - als "freilaufendes Gänsefüßchen".

Aber der Titel bedeutet auch noch etwas ganz anderes. Denn Jonas sitzt an diesem Abend zwischen lauter Paketen auf der Bühne. Da er immer zu Hause sei, nehme er - stellvertretend für den netten türkischen Hausmeister Murat - alle Pakete für seine Nachbarn an, die in der Regel tagsüber bei der Arbeit seien. Er mache das halblegal, er sei sozusagen der unbekannte Mitarbeiter von DHL.

Jonas liebt es, die Gedanken bis ins Absurde zu treiben, wenn er auch noch davon berichtet, wie die Firma Tengelmann eines Tages um 4.30 Uhr klingelt und ihm eine Palette Frischfisch ins Schlafzimmer ausliefert. Vor allem aber bietet Jonas erfrischend bissiges politisches Kabarett, vor dem nichts sicher ist, schon gar nicht die SPD, die merkwürdigerweise gerade zur Hochform aufläuft durch den Schulz-Effekt. Den versteht Jonas überhaupt nicht, schließlich habe der frischgebackene Kanzlerkandidat doch noch überhaupt nichts geleistet. Seine Absichtserklärung, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen, hält er gerade bei einer sozialdemokratischen Partei für überhaupt nicht originell. Was er auch nicht versteht, ist, dass die IG Metall sich jetzt im Aufsichtsrat von VW für eine Obergrenze von zehn Millionen Euro bei den Vorstandsbezügen einsetzt. "Die IG Metall kämpft doch sonst immer für Lohnerhöhungen"

Jonas arbeitet sich an Trump genauso ab wie an den Grünen, die immer mehr zur Religionsgemeinschaft mutierten mit ihrem Heilsbringer Toni Hofreiter, der bestimmt auch übers Wasser wandeln könne. Zumindest aber über Pfützen.

Er lässt sich über Zeiterscheinungen wie die iWatch, das iPhone oder das Samsung Galaxy aus - ein Handy mit eingebautem Feuerzeug. Und all die nützlichen Apps. Wie die Blasen-App, die ihm anzeigt, wann er einem dringenden Bedürfnis nachgehen muss und natürlich mit Google Earth verlinkt ist, um ihm die nächsten Toiletten zu zeigen.

Am besten jedoch ist Jonas, wenn er übergeht zur linguistischen Sprachkritik. Was etwa ist der Fall, wenn der Richtige das Falsche sagt? Oder umgekehrt? Er kommt dann auf das berühmte Boateng-Zitat von Alexander Gauland zu sprechen: "Die Leute finden ihn als Fußballer gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben", hat der AFD-Politiker in einem Hintergrundgespräch formuliert. Die Sätze erhielten einen ganz anderen Inhalt, wenn sie nicht Gauland, sondern beispielsweise er, Jonas, sie ausspreche. Denn dann würde er damit den Rassismus des deutschen Volkes kritisieren. Aha, Sprache ist also immer kontextabhängig.

Etwa der Begriff "Neger". Jonas würde gerne von Negern sprechen, er denke sich dabei auch nichts Rassistisches, sondern er erinnere ihn an etwas sehr Schönes: an Negerküsse. Aber eigentlich, wenn man politisch ganz korrekt wäre, müsste man auch Begriffe wie "Frau" meiden - er ist zu negativ konnotiert. Dann schlägt Jonas augenzwinkernd die Sprachreform einer amerikanischen Feministin vor: Alle geschlechtsspezifischen Begriffe aus der Sprache eliminieren, statt von Frauen und Männern spricht man von Körpern.

So irrt Bruno Jonas mehr als drei Stunden lang durch das Minenfeld der politischen Korrektheit, lästert über die Wähler (zu viele Deppen), die Bundespräsidenten, das sympathische Frauenbild des Islams ("ich überlege mir zum Islam zu konvertieren") und die Schwächen der Demokratie (die Hälfte aller Bundestagsabgeordneten beim hier herrschenden Verhältniswahlrecht steht bereits vor der Wahl fest).

Er redet sich immer wieder in Rage - aber nur künstlich, er sei schließlich ein Künstler. Er parliert, albert, rockt und reimt ("Nur mal angenommen, ich wäre ein Konjunktiv") so intelligent-hinterfotzig, so eloquent-spöttisch, dass einem das politische Koordinatensystem ins Wanken gerät. Und man am Ende Hilfe suchend auf das versteinerte Gesicht der Sokrates-Figur im Hintergrund schaut und nun endlich weiß, warum man nichts weiß.