Ingolstadt
Das Oratorium als Musikdrama

Johann Sebastian Bachs Johannespassion mit dem Ingolstädter Motettenchor

17.03.2014 | Stand 02.12.2020, 22:56 Uhr

Packende Chorpassagen: Eva-Maria Atzerodt dirigierte den Ingolstädter Motettenchor und das Orchester La Banda - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Das größte Kompliment, das man Musikern machen kann, ist manchmal nicht der lautstarke Beifall, der begeisterte Bravoruf – sondern ein Moment der Stille. Spannungsgeladene Ruhe, bei der man vor Ergriffenheit kaum zu atmen wagt. So wie im Ingolstädter Festsaal nach der Arie „Es ist vollbracht“ aus der Johannespassion von Johann Sebastian Bach.

Die Mezzosopranistin Ulrike Malotta schilderte den Tod Jesu am Kreuz untermalt von klagenden Gambentönen derart magisch verhalten, dass das Publikum hoch konzentriert, ja, wie gebannt zuhörte. Malotta verfügt über eine wunderbare Stimme, die auch dann noch Wärme und Glanz ausstrahlt, wenn sie auf jedes Tremolo, auf jedes noch so feine Vibrato verzichtet. Unter dem ohnehin ausgezeichneten Solistenensemble stach sie hervor.

Die Johannespassion war aber besonders für Eva-Maria Atzerodt eine Herausforderung. Die erfahrene Chorleiterin hatte erst 2013 den Motettenchor von Felix Glombitza übernommen, die Johannespassion war das erste groß angelegte Werk, das sie dirigierte. Und sie machte es hervorragend.

Atzerodt leitete das gewaltige Ensemble von weit über hundert Musikern bewunderungswürdig souverän. Mit wenigen Bewegungen akzentuierte sie den Rhythmus und schaffte es, das ganze Konzert hindurch sehr organisch wogende Zeitmaße anzuschlagen. Packend gelangen ihr besonders die Turba-Chöre, jene kommentierenden, oft bösartig ironischen Einwürfe des Volkes zur Kreuzigungsgeschichte. Ein so gewaltiges Ensemble wie der Ingolstädter Motettenchor hat eine fast schon natürliche Neigung zur Behäbigkeit. Umso mehr überraschte es, wie prägnant und reaktionsschnell der Chor diesmal vorging. Wie gemeißelt stellte der Motettenchor die Wutausbrüche der aggressiven Volksmassen dar, wenn sie „Kreuzige, kreuzige!“ riefen oder die ironische Strenge der Fuge bei dem Satz „Wir haben ein Gesetz“ zelebrierten. Ganz anders die Choräle, die das Bachsche Werk gliedern. Hier konzentrierte sich Atzerodt auf den Melos, den Atem, mit dem die langen Phrasen entstehen und wieder verklingen: eine hinreißende, fein die oft überraschenden harmonischen Modulationen herausarbeitende Interpretation. Wie überhaupt der Chor sich von seiner besten Seite zeigte: homogen, intonationssicher, farbenreich und sehr dynamisch.

Als Orchester hatte Atzerodt mit La Banda ein Barockensemble, das auf historischem Instrumentarium spielt, ausgewählt. Eine kluge Entscheidung. Denn der kleine Klangkörper agierte ebenso wendig, hochmusikalisch und differenziert wie der große Chor. Besonders die Basso-continuo-Gruppe wirkte hochengagiert.

Statt der sonst üblichen vier Solisten standen diesmal sechs auf der Bühne. Dadurch trat die opernhaft dramatische Seite des Oratoriums schärfer hervor, weil die Sänger bestimmte Rollen übernehmen konnten, ohne noch zusätzliche Arien singen zu müssen.

Fast alle Solisten verfügten über die für Bachs Oratorien so wichtigen instrumental reinen Stimmen. Eine Ausnahme bildete allenfalls Michael Siemon als Christus, dessen Tenor ein wenig zu voluminös und zu unkultiviert für diese Partie war. Sehr klug gestaltete Michael Mogl die Rolle des Evangelisten, mit schöner, runder Stimme und vorzüglicher Textverständlichkeit. Die Sopranistin Roswitha Schmelz sang genauso wie Ulrike Malotta meist mit sehr wenig Vibrato – allerdings verströmte sie dabei einen allzu kühlen Klang. Hervorragend auch die beiden Bässe Andreas Burkhart (der 2009 mit dem Musikförderungspreis des Konzertvereins geehrt wurde) und Ludwig Mittelhammer. Wobei Letzterer in der Rolle des Christus durch seine farbenreiche, sehr sonore Stimme noch etwas mehr überzeugen konnte als sein Kollege mit seinem sehr milden Timbre.

Nach dem Konzert feierte das Publikum die Musiker mit lang anhaltendem Beifall und Bravos. Zwei kurze Stunden lang war für viele offenbar sogar das Wahlfieber vergessen.