Ingolstadt
Das Fremde in uns

Das Stadtmuseum Ingolstadt zeigt Gemeinsamkeiten sehr unterschiedlicher Kulturen auf

24.05.2012 | Stand 03.12.2020, 1:27 Uhr

Einblicke in das Alltagsleben der Eipo bietet im Ingolstädter Stadtmuseum diese Familienhütte, neben der das größte der mehr als 100 Jahre alten Ahnenbretter ausgestellt ist - Foto: Hammerl

Ingolstadt (DK) Eine völlig fremde Welt? Ja und Nein – die neue Ausstellung im Stadtmuseum Ingolstadt stellt die Kulturen der San und Himba aus Angola, der Yanomami aus Brasilien, der Eipo aus Papua und der Trobriander aus Papua-Neuguinea vor und zugleich spiegelbildlich unserer Welt gegenüber. Über die fünf Stämme werden viele Ingolstädter nur wenig wissen, und doch haben sie unglaublich viel mit uns gemein, diese Kulturen, die erst spät Kontakt zur Außenwelt erhielten, und somit moderne Modelle der Vergangenheit verkörpern.

Die Forscher Johanna Forster, Wulf Schiefenhövel, Christa Sütterlin und Dorothea Steinbacher haben teils viele Jahre mit ihnen gelebt und zahlreiche Alltagsgegenstände mitgebracht, die der faszinierenden Ausstellung „Im Spiegel der Anderen“ Leben einhauchen.

Zunächst fällt es schwer, die fünf Stämme, die als Jäger und Sammler, Hirtennomaden oder Ackerbauern leben, auseinanderzuhalten, denn die Ausstellungsmacher zeigen sie nicht getrennt. Stattdessen folgen sie Themenbereichen, innerhalb derer Exponate verschiedener Herkunft kunterbunt nebeneinanderstehen, mittendrin auch das Bild eines bayerischen Maibaums oder einer Fratze aus dem Fassadenfries der Kirche Notre Dame im französischen Aisne. Genau darum geht es, die Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, die trotz aller kulturell bedingten Unterschiede unleugbar vorhanden sind. „Der Mensch ist Natur- und Kulturwesen“, sagt Humanethologe Schiefenhövel (die Humanethologie sieht den Menschen als Produkt der Evolution und erklärt sein Verhalten als evolutionsbiologische Anpassung). Er geht davon aus, dass der Mensch der Vergangenheit angepasst sei, was ihn dazu verurteilt, „mit unserer paläohistorischen Ausstattung ein modernes Leben zu bestreiten“. Was gehört zu unserem genetischen Erbe, was ist von der Umgebung, der Kultur modifiziert worden? Die Ausstellung verhilft zu spannender Selbsterkenntnis.

Universalien, so nennen die Humanethologen jene, allen Menschen auf der Welt gemeinsamen Verhaltensweisen. Ein Raum ist der Kooperation gewidmet, einer der Familialität – von der Brutpflege in der Kleinfamilie bis zur Weltgesellschaft –, der nächste Feste, die überall dazu dienen, Höhepunkte im Leben zu markieren, Übergänge wie Hochzeit oder Tod rituell zu begleiten und ein Stelldichein der Geschlechter zu ermöglichen. Typisch menschlich ist die Angst. Während Tiere sich vor etwas fürchten, abstrahiert der Mensch und bezieht die Zukunft ein, was ihn höchst kreativ werden lässt, um Gefahren abzuwehren, und sei es durch Figuren, deren erigierter Penis kein sexuelles Motiv, sondern eine Drohgebärde darstellt – bei den Wächterfiguren aus Bali ebenso wie im Fries des Stephansdoms in Wien.

Kinder teilen gern, mitunter aber brauchen sie Hilfe. Ein anrührendes Beispiel ist in einer Filmsequenz zu sehen. Ein kleiner Eipo-Junge hat etwas zu essen, die kleine Schwester greift danach. Er schaut ratlos, bis die Mutter eingreift, es in zwei Stücke teilt und ihm beide zurück gibt, woraufhin er mit dem Mädchen teilt. Ein Glanzstück der Pädagogik findet Schiefenhövel.

Zwischen 100 und 200 Jahre alt sind die ausgestellten Ahnenbretter, die spirituelle Funktion haben, Baströcke dienen als ausgeklügeltes Währungssystem auf den Trobriand Inseln, Pfeilspitzen werden bei den Yanomami wie Visitenkarten getauscht – „Im Spiegel der Anderen“ bietet überraschende Entdeckungen.

 

Noch bis zum 30. September im Stadtmuseum Ingolstadt. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag: 9 – 17 Uhr; Samstag/Sonntag: 10 – 17 Uhr.