Ingolstadt
Das Bild der Frau

Zur Premiere "Missionen der Schönheit" im Medizinhistorischen Museum Ingolstadt

11.05.2014 | Stand 02.12.2020, 22:42 Uhr

Im steifen Korsett: Carolin Schär als eine der Frauen, die gefangen sind in ihren Rollen - Foto: Olah

Ingolstadt (DK) „Downtown“, der variable Spielort des Theaters, ist diesmal das Medizinhistorische Museum mit seinen Gebärstühlen, eisernen Lungen, chirurgischen Instrumenten und Lebensläufen von Ärzten und von Forschern. Ein passender Ort, wenn man so will, für ein Stück über Frauen, Mütter, die wenig Raum zum Atmen finden, mit Skalpellen ihrer Unvollkommenheit zu Leibe rücken und der Dominanz der Männer längst in gnadenloser Verinnerlichung Tribute zollen.

Aber glücklicherweise hat dieses Medizinhistorische Museum mit Marion Ruisinger, einer gelassenen, großen Frau mit Brille und zurückgeschopften Haaren, eine Direktorin, und ihre Anwesenheit an diesem Abend wirkt – wiewohl wir nichts über etwaige seelische Abgründe der Professorin wissen können – wie ein Trost, wie ein Gegenentwurf zu Sibylle Bergs bitteren, zynischen Texten darüber, wie es so ist, eine Frau zu sein.

„Missionen der Schönheit“ heißt das 2010 in Stuttgart uraufgeführte Stück: Acht Monologe bündeln „die Geschichte der Frau, die untrennbar mit Zuschreibungen, Unterdrückung und Gewalt gekoppelt ist“. In jedem Ort der Welt (von Brüssel bis Kinshasa reichen die Angaben vor den Monologen), in jeder Lebensstation von Jugend bis Alter, denn zwischen zwölf und 75 Jahre alt sind laut Text die Sprecherinnen, die alle „Judit“ heißen – „Holofernesmomente“ nennt sich das Stück schließlich im Untertitel nach der biblischen Frau, die durch Enthauptung des Mannes der Unterdrückung ein Ende machte.

Berg lässt ihre Judits also sprechen: über Magersucht, Schönheitsoperationen, Folter und Vergewaltigung, über das Leben als Porno-Queen, enttäuschte Ehefrau oder mörderisches Hausmütterchen. Denn rächen werden sie sich zuletzt alle: am gierigen, desinteressierten Mann. An der Gesellschaft. Und nicht zuletzt an sich selbst, ihrer braven und verachtenswerten Demut wegen. Es ist ein problematischer Text, ein wenig plakativ, ein wenig einseitig, seltsamerweise trotz seiner Entstehungszeit ein wenig angestaubt. Wenngleich immer wieder bewundernswert formulierte Sätze mit Prägnanz ins Bewusstsein knallen. Dass das gelingen kann, ist im Museum ausschließlich den Schauspielerinnen unter der Regie von Leni Brem zu danken. „Mindestens zwei Darstellerinnen“ verlangt das Stück – in Ingolstadt ist mit Patricia Coridun, Teresa Traut, Julia Maronde, Joana Tscheinig, Carolin Schär, Viktoria Voss und Renate Knollmann beinahe das gesamte weibliche Theaterensemble versammelt. Ergänzt durch eine Videoeinspielung gehört also jeder Monolog einer einzelnen Figur – wie sich überhaupt Brem, von ein, zwei kleinen Verschränkungen und Zusammenfassungen abgesehen, strikt an den Textablauf hält.

Nacheinander kommen die Judits in individualisierter dunkler Alltagskleidung dran (Kostüme: Charlie Labenz), erklimmen graue Podeste, mit denen Bühnenbildnerin Luisa Rienmüller das ausdrucksvolle Museumsambiente ergänzte, und erzählen kokettierend, lächelnd, böse, rachevoll, gebrochen, kalt von ihrem Inneren und Äußeren.

Da gibt es schon packende, Gänsehaut erregende Momente, etwa wenn Teresa Traut (Berlin. Judit, 18, und die Experimente) lachend von ihrer Unattraktivität berichtet, der sie soeben mit Messer und Gefrierbeuteln als Brustimplantate im wahrsten Sinn des Wortes zu Leibe gerückt ist. Oder wenn die wunderbare Julia Maronde (Kinshasa. Judit, 23, und die Unruhe) wie träumend ihre Sicht der Welt erklärt, während sie die finale Vergewaltigung erwartet – Prototyp der Millionen von im Krieg missbrauchten, gefolterten, getöteten Frauen.

Aber es gibt auch immer wieder kleine Ungelenkigkeiten in der inszenatorisch nicht allzu einfallsreichen Produktion. Dass man – nur 40 Zuschauer sind zugelassen – dem Ensemble vom Erdgeschoss nach oben in den Anatomiesaal folgt und später in den Garten, ist vielleicht eine hübsche Idee, unterbricht aber störend den Fluss des Spiels. Auch durch die Lautsprecheransagen zum Ortswechsel, die den Monologen doch erstaunlichen Fremdtext beisteuern.

Im Garten endet dann auch, nach 50 Minuten, das Stück: Renate Knollmann (Betulia. Judit, 75, und die Ruhe) hat endlich ihren Mann und ihre beiden Söhne umgebracht. Und während sie, zufrieden plaudernd, auf der Balustrade Blumen gießt, treten die anderen wortlos neben sie: Opfer, Selbstausbeuterinnen, Täterinnen, Rächerinnen. Die Frau an sich eben, wie Sibylle Berg sie sieht, in einer inneren und äußeren Männerwelt.