Ingolstadt
Das Ballett der Knöpfe

21.11.2014 | Stand 02.12.2020, 21:57 Uhr

 

Ingolstadt (DK) Ja, Marieluise Fleißer hat, im wahrsten Sinn des Wortes, den Stoff geliefert für diese berückende Rauminstallation aus Virtuellem und Realität. War, so muss man es sagen, Zuarbeiterin, Requisiteurin, nicht aber Hauptperson. „Das ist keine Arbeit über sie, sondern mit ihr“, sagt Helga Fanderl in der Galerie des Kunstvereins, wo nun, die ganze Länge des Raums entlang, auf sechs Großleinwänden in Endlosvariationen die Stoffe, Kleider, Hüte, Knöpfe aus dem Fleißerschen Fundus tanzen. Und zugleich „echte“ Stoffe, Kleider, Hüte, Knöpfe als strenge Farbformalien an der Wand haptische Präsenz beschwören. Was für ein Augenschmaus ist diese Ausstellung „Marieluise Fleißers Kleider“!

Der Kunstverein, die Stadt Ingolstadt und die Fleißer-Gesellschaft haben die Schau ausgerichtet, die heute passgenau am Vorabend zu Fleißers 113. Geburtstag und im Rahmen eines Abschlusswochenendes der Feierlichkeiten zum 40. Todesjahr der Ingolstädter Schriftstellerin eröffnet wird. Und die die renommierte Filmkünstlerin Fanderl im Untertitel dann doch „Eine Hommage“ nennt – vielleicht, weil es ihr gelungen ist, mit ihrer wundersam sinnlich-abstrakten Arbeit die Fleißer zu ent-biografieren. Denn das gehört zu Fanderls eindrücklichen Erinnerungen an die Dramatikerin: Wie Fanderl („in meinem ersten Leben“) als Literaturwissenschaftlerin alle Werke Fleißers las, die stets aufs Persönliche bezogene literarische Rezeption mangelhaft fand und deshalb lange mit Marieluise Fleißer telefonierte. Um feststellen zu müssen, dass Fleißer selbst einen biografischen Zugang pflegte zu ihrem Werk. „Das ist egal“, sagt Fanderl, „ich sehe die Qualität trotzdem im Literarischen.“

Die ihre liegt im Filmischen und üblicherweise im Entdecken und Beobachten von Bewegungen im Raum. Neuland betrat die heute 67-Jährige, die in Ingolstadt aufwuchs, an der Städelschule in Frankfurt und an der Cooper Union in New York studierte und heute in Paris lebt, also gewissermaßen mit den Fleißer-Kleidern: Erstmals wurde inszeniert! Wurden die Textilien aus dem Nachlass der stoffe- und modebegeisterten Fleißer ans Tageslicht gebracht und in der frischen Luft bewegt, segelten Hüte aufs Gras, warfen sich Kleider auf einen Haufen oder wehten im Geäst. 2008 war das schon – denn lange währte der Prozess, aus diesen Filmaufnahmen eine umfassende, komplexe Rauminstallation zu schaffen.

Ja, es ist eine Rauminstallation, auf die Theatergalerie zugeschnitten, in der sich Fleißer und Fanderl zweimal begegneten. Da bilden eingangs zwölf Hüte der Autorin, immer gleiches Modell, immer andere Farbe und Textur, ein fast konkretes Wandfries, geben zusammen mit streng arrangierten Stoffen und Knöpfen Rhythmen vor, die sich auf der Leinwand wiederfinden werden. Und noch mal Rhythmus, diesmal im Raum: Die Säulen der Galerie nahm Fanderl als Senkrechte zwischen den Leinwänden, auf denen nun Farbe und Form, Kleid und Knopf unablässig neue Choreografien bilden.

Es ist eine hoch komplizierte technische Arbeit, die hinter dem poetisch-kühlen Tanz der Textilien steckt: Aus elf von Fanderl ausgewählten Grundelementen der Ursprungsfilme (etwa schwebender Hut, fliegendes Kleid, pastelliger Stoff) und daraus wiederum gezogenen Fragmenten programmierte der Mailänder Musiker, Komponist und Videokünstler Matteo Pennese eine Abfolge (und schon die Grafik der Algorithmen ist künstlerisches Bild!), die auf jeder Leinwand anders ist und sich niemals wiederholt. Ad infinitum also kann man immer neue Choreografien sehen, immer weiter staunen, wie Fleißers Kleider tanzen. Sehenswert!

 

Bis 11. Januar. Do bis So 11 –18 Uhr.