Ingolstadt
"Man hat immer die Angst, nicht zu genügen"

22.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:54 Uhr

Die Gegenspieler: Felix Steinhardt (links) verkörpert Wolfgang Amadeus Mozart, Matthias Zajgier Antonio Salieri. - Foto: Voigt

In Peter Shaffers "Amadeus" geht es nicht um historische Wahrheit. Das Stück fabuliert von einem Mordkomplott: Wie der eifersüchtige Salieri den verhassten Mozart erst ins Elend, dann in den Tod treibt. Aber es ist auch ein Künstlerstück über Genialität und Mittelmaß und das Aufbegehren der Jugend gegen Konventionen. Unter der Regie von Nikolaos Eleftheriadis hat "Amadeus" heute Abend im Turm Baur Premiere.

Natürlich war es nicht so. Natürlich hat Antonio Salieri seinen Konkurrenten auf der Opernbühne nicht ermordet. Obwohl tatsächlich schon bald nach Mozarts frühem Tod in Wien gemunkelt wurde, Salieri hätte da irgendwie seine Hand im Spiel. Quelle solcher Gerüchte war vermutlich Constanze Mozart, Gattin und Witwe des Komponisten. In Wirklichkeit verband Salieri und Mozart zeitlebens ein kollegiales Verhältnis, sie schrieben sogar eine Kantate zusammen. Und Salieri unterrichtete darüber hinaus eine ganze Musikergeneration, darunter Beethoven, Schubert und Liszt. Trotzdem griff Peter Shaffer in "Amadeus" das alte Gerücht wieder auf, spitzte es zu zu einem Stück über das Verhältnis des neidischen und normal begabten Komponisten Salieri zum genialen Mozart und schuf damit einen Welterfolg. MiloÅ¡ Forman machte daraus einen Hollywood-Blockbuster, der mit acht Oscars ausgezeichnet wurde, und prägte unser Bild von Salieri damit nachhaltig. Das Stadttheater Ingolstadt zeigt "Amadeus" als Freilichtspiel. In den Hauptrollen: Matthias Zajgier als Salieri (1750-1825) und Felix Steinhardt als Mozart (1756-1791).

 

Herr Zajgier, Herr Steinhardt, mögen Sie Klassik?

Matthias Zajgier: Sehr. Ich hatte zehn Jahre lang Klavierunterricht. Da kommt man natürlich mit viel Klassik in Berührung. Darüber hinaus bin ich sogar Besitzer einer 100-CD-Box von Mozarts Werk.

Felix Steinhardt: Ich hab' mal eine Zeitlang Chormusik gemacht. Da kommt man um Klassik nicht drumrum. Aber bei der Arbeit an "Amadeus" war ich doch überrascht über die Vielfältigkeit von Mozarts Schaffen.

 

Kannten Sie auch Salieri?

Zajgier: Ich bin ihm erst in diesem Stück begegnet. Aber Ingolstadt ist bereits die vierte "Amadeus"-Produktion, in der ich mitwirke. Noch vor dem Studium war ich Statist in Regensburg, dann gab es ein Projekt an der Schauspielschule ...

Steinhardt: ... das ich zufälligerweise sogar gesehen habe ...

Zajgier: ... und vor sechs Jahren stand es auf dem Spielplan, als ich in Esslingen engagiert war. Da hat übrigens auch Nikolaos Eleftheriadis mitgespielt, der jetzt in Ingolstadt Regie führt. Als Statist war ich Salieris Diener, an der Schauspielschule einer der Venticelli, in Esslingen war ich Mozart und jetzt Salieri - ein Aufstieg also. (Er lacht.)

 

Sie verkörpern die beiden Gegenspieler, Mozart und Salieri. Beschreiben Sie doch bitte kurz mal Ihre Charaktere.

Zajgier: Salieris Geschichte ist die Krux des Mittelmäßigen. Er schließt einen Pakt mit Gott, er würde in Tugend leben und Gutes tun, wenn Gott ihn dafür zu einem großen Komponisten macht. Das geht eine Zeitlang gut. Bis plötzlich dieser unflätige Typ mit einem Faible für obszöne Witze auftaucht, der die großartigste Musik schreibt. Salieri beginnt zu hadern, rechtet mit Gott, will sich rächen - und intrigiert gegen Mozart. Am Ende blickt er auf sein Leben und muss feststellen, dass er mit seinem Handeln vor allem sich selbst zerstört hat.

Steinhardt: Mozart ist natürlich eine tolle Rolle, aber auch eine schwierige. Kampf und Frustration prägen sein Leben ja erst später. Am Anfang steckt er voller Überschwang. Er ist wie ein Stehaufmännchen - und genau das macht Salieri das Leben so schwer. Beim Spielen musste ich oft an das Hollywood-Drama "Black Swan" denken. Auch da gibt es diesen Gegensatz zwischen der hart arbeitenden und der genialen Tänzerin.

 

Welche ist denn die spannendere Rolle?

Zajgier: Ich habe beide Rollen gespielt - und beide haben spannende Seiten. Mozart spielt seinen eigenen Lebensbogen. Salieri führt nicht nur durch das Stück, sondern zeigt, was ihm durch diesen Mozart widerfährt. Es sind ganz unterschiedliche Rollen - auch von der Energie her.

 

Dabei ist Salieri nur sechs Jahre älter als Mozart.

Zajgier: In der Regel wird Salieri aber mit einem älteren Schauspieler besetzt, während Mozart der spritzige Jungspund ist - und eher Sympathieträger als der alte Knochen. Felix und ich sind gleich alt. Damit wird die Konkurrenzsituation zwischen beiden viel deutlicher.

Steinhardt: "Amadeus" erzählt ja nicht nur etwas über Begabung, sondern auch über die Jugend. Man könnte das Stück auf unsere gesellschaftliche Situation übertragen: Salieri verkörpert den Status quo - und er will ihn mit aller Macht erhalten. Auf der anderen Seite steht Mozart mit seinem genialen Potenzial, mit unbändiger Kraft. Man könnte sich gleich verknallen in diesen Spinner. Und dann verfolgt man, wie er sich an dieser Mauer totläuft - an Salieri, am Hofstaat, an den Konventionen. Und wie seine Musik versucht, sich aus diesen Konventionen zu befreien.

 

Haben Sie über Ihre realen Figuren recherchiert?

Steinhardt: Ich habe mich nicht mit Biografien von Mozart aufgehalten. Das Stück ist konstruiert, und man muss es als Theaterstück begreifen. Klar habe ich mal hier und da einen Brief gelesen, aber ich habe mich eher mit der Musik auseinandergesetzt. Denn die Musik ist komplex und gibt Raum für das Spiel.

Zajgier: Natürlich informiert man sich. Salieri war nicht dieser Stinkstiefel, als der er hier dargestellt wird. Er war angesehen, hatte acht Kinder. Und er war mit Mozart befreundet. Er hat nach dem Tod sogar noch dessen Sohn unterrichtet. Mozart war zu seinen Lebzeiten nicht so berühmt. Zum Genie wurde er erst nach seinem frühen Tod mit 35 Jahren gemacht. Aber "Amadeus" will ja kein biografisches Stück sein.

 

Ähneln Sie Ihren historischen Figuren - in Maske und Kostüm?

Zajgier: Es gibt eine Art Rokoko-Grund. Salieri ist recht klassisch - mit viel Puder. Aber bei Mozart ist da auch viel Pop dabei: Chucks und Pailletten.

 

"Amadeus" ja ein Künstlerstück. Im Kern geht es um die Frage nach Genie und Mittelmaß, um Leistungsdruck, Konkurrenzsituationen, Neid etc. Kennen Sie das?

Steinhardt: Man hat als Schauspieler immer die Angst, nicht zu genügen. Das ist der Fluch dieses Berufes, aber zugleich auch der Motor. Ich habe großen Respekt vor Leuten, die den Beruf jahrzehntelang ausüben und ihr Feuer bewahrt haben. Das ist nicht einfach. Denn im Grunde muss man immer wieder zu dem Punkt zurückkehren, an dem man sich sagt: Ich weiß nicht, wie es geht. Ich muss es herausbekommen. Wenn Neugier und Risikobereitschaft verloren gehen, reduziert man sich leicht auf Sachen, die funktionieren.

Zajgier: Man lebt immer in diesem Zweifel zwischen Mittelmaß und Genialität. Reicht die Leistung aus? Denn man muss sich ja ständig neu beweisen - in jeder Rolle, bei jedem neuen Regisseur, bei jedem neuen Engagement. Das ist beim Schauspieler anders als beim bildenden Künstler: Wir sind unser eigenes Material. Man ist in gewisser Weise schutzlos und liefert sich aus. Das ist schon anstrengend.

 

Gab's eigentlich einen gemeinsamen Kinoabend - mit MiloÅ¡ Formans oscargekröntem Film "Amadeus"?

Zajgier: Nein. Aber natürlich kennen alle den Film. Das Problem ist folgendes: Am Anfang gab es das Theaterstück. Für das Kino hat Peter Shaffer eine neue Fassung geschrieben. Wir hatten am Anfang noch viele Filmszenen drin, merkten aber bald, dass sie auf der Bühne nicht funktionieren.

Steinhardt: Dazu kommt, dass die Theaterfassung für einen geschlossenen Raum gedacht ist. Im Freilicht gelten noch mal andere Gesetze.

Zajgier: Für vieles mussten wir andere Übersetzungen finden. Denn das Stück lebt sehr vom Bühnenzauber. Einfachstes Beispiel: Wenn das Stück beginnt, sitzt Salieri in seiner dunklen Wohnung, aber um 20.30 Uhr ist es draußen noch hell, da kann man mit Licht nicht sehr viel machen.

 

Traditionell gibt es bei einer Premiere kleine Geschenke. Glauben Sie, dass es heute etwas anderes gibt als Mozartkugeln?

Zajgier: Also das Stück würde schon ein paar Ideen liefern. In Esslingen habe ich beispielsweise Venusbrüstchen fürs Bufett gemacht - aus einer Art Makronenteig. Ich könnte das Rezept vielleicht noch mal rauskramen.

 

Die Fragen stellte Anja Witzke.

 

Premiere ist heute, Freitag, um 20.30 Uhr im Turm Baur. Die Premiere ist bereits ausverkauft, Vorstellungen gibt es aber bis 22. Juli. Kartentelefon (08 41) 30 54 72 00.