Ingolstadt
Auf dem politischen Trip

Farbenfroh, schräg und schillernd: Nina Hagen singt Brecht-Lieder in der Halle 9 in Ingolstadt

13.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:30 Uhr

"Godmother of Punk" in Ingolstadt: Nina Hagen singt die Songs von Bert Brecht fast so, als wären sie Volkslieder. - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Es gibt Menschen, die behaupten, Bertolt Brecht sei einer der ganz wenigen Popstars der deutschen Literatur, und es gibt Menschen, die behaupten, Nina Hagen seit die "Godmother of Punk" - wahrscheinlich liegt die Wahrheit immer dort, wo ein jeder sie sucht und findet. Nina Hagen hat jedenfalls 1974 ihre Gesangsausbildung als "staatlich geprüfte Schlagersängerin" mit einem Stimmumfang von vier Oktaven abgeschlossen und landete mit der Single "Du hast den Farbfilm vergessen" einen Hit.

Ihre Musik ist so farbenfroh wie ihre Schminke: Von New Wave, Punk und Neue Deutsche Welle über Blues und Gospel bis hin zu indischen Klängen - Nina Hagen ist musikalisch so schillernd wie ihr Outfit und geistig so verstrubbelt wie ihre Frisur. Die 62-jährige Sängerin, Songwriterin und Schauspielerin zeichnet sich vor allem durch eines aus: Sie steht zu 100 Prozent zu sich selbst und stellt sich als Kunstfigur dar, die viele Interpretationen zulässt. In der Halle 9 präsentierte sie mit ihrer aktuellen Band ein fast zweistündiges Live-Programm, das in Ermangelung eines neuen Solo-Albums (das letzte, "Volksbeat", erschien 2011, ein neues ist anscheinend in Arbeit) unter dem Motto "Brecht-Lieder-Zur-Klampfe-Abend" lief.

Das Programm war jedoch in der Vorankündigung inhaltlich nur schwer ersichtlich, weshalb sich die Reihen der Zuhörer im Laufe des Abends merklich lichteten. Die Ostberliner Diva und der schwäbische Literat, wie geht das zusammen? Ganz einfach, über die Musik und die Inhalte. Nachdem sich Nina Hagen in den 80er- und 90er-Jahren eingehend mit Ufo-Theorien, Tierschutz und Spiritualität sowie Religion beschäftigt hatte, ist sie nun (passend zu den anstehenden Bundestagswahlen) auf dem politischen Trip und singt mit der tatkräftigen Unterstützung von Fred Sauer am Piano, Werner Poland an der Gitarre, Michael O'Ryan am Bass und Marcellus Puhlemann am Schlagzeug Brecht-Lieder wie "Das Lied vom Weib des Nazi-Soldaten", "Lob des Lernens", "Das Lied von der Tünche" oder den "Kanonensong" aus der Dreigroschenoper. Nina Hagen beschäftigt sich schon seit jungen Jahren mit den Werken Bert Brechts und tritt immer wieder mit Texten von ihm auf die Bühne, unter anderem im von ihm gegründeten Berliner Ensemble. Brechts Lieder gegen den Kapitalismus oder für eine länder- und klassenübergreifende Achtsamkeit erhalten bei Nina Hagen beinahe eine Art Volksliedstatus.

Wer jedoch kein Brecht-Fan ist, für den bleiben an dem Abend noch die musikalischen Ausflüge zu Canned Heat, Bob Dylan, Larry Norman, Rosetta Tharpe oder gar den verdeutschten Leonhard-Cohen-Song "By The Rivers Dark" ("Am dunklen Fluss"), einem wirklich eindringlichen Lied, das für Hagens Stimme die perfekte Tonlage bietet. Erschienen ist dieses Lied übrigens auf dem Tribute-Album "Leonhard Cohen in deutscher Sprache" - Nina Hagens Gesang ist laut Wikipedia auf annähernd 500 weltweit erschienenen LP- und CD-Veröffentlichungen zu hören, das an sich ist schon eine bemerkenswerte Leistung! Thomas Nöske schrieb über Nina Hagen in seinem Buch "Pop-Schamanismus" (1999): "Eigentlich muss man Nina Hagen für voll nehmen, weil für halb keine zweite Hälfte bekannt ist und sie für Nichts deutlich zu viel ist." In diesem Sinne entlässt die sich selbst als "alten Hippie" bezeichnende Nina Hagen das Publikum mit Brechts "Kinderhymne" in die Nacht.