Ingolstadt
"Am Abend muss der Vorhang hochgehen"

Organisationsgeschick, Improvisationstalent und Bühnenerfahrung: Seit 30 Jahren ist Rainer Steinhilper Chefdisponent am Stadttheater Ingolstadt

13.06.2017 | Stand 02.12.2020, 17:57 Uhr

Foto: DK

Ingolstadt (DK) Seit 30 Jahren ist Rainer Steinhilper Chefdisponent am Stadttheater Ingolstadt, fast ebenso lange ist er als Nikolaus am Christkindlmarkt anzutreffen, wo er Süßigkeiten an Kinder verteilt. Vier Intendanten hat er in dieser Zeit erlebt und jede Menge Aufregungen überstanden. Zum Beispiel, als er die Feuerwehr gerade noch davon abhalten konnte, eine mit 650 Kindern vollbesetzte Märchenvorstellung zu stürmen. Oder als er das Garderobenfoyer komplett mit Rasen auslegen ließ, damit die Theaterballbesucher dort Cricket spielen konnten. Auch auf der Bühne ist er hier schon mal gestanden: in dem Musical "Knickerbocker Holiday" (Musik: Kurt Weill) und als Bahnhofsvorsteher von Güllen im Dürrenmatt-Stück "Besuch der alten Dame", das 1989 schon einmal als Freilichtspiel auf dem Spielplan stand.

Dabei hat ein Disponent eigentlich ganz andere Aufgaben. Er - so beschreibt es der Deutsche Bühnenverein - "trifft in Abstimmung mit allen Abteilungen des künstlerischen und technischen Bereichs und mit der Personalvertretung die Entscheidungen für den Spiel- und Probenbetrieb. Er regelt die langfristige Disposition, eventuell notwendige Umbesetzungen, die Terminierung von Abstechern, Gastspielen und Sonderveranstaltungen im eigenen Haus". Dazu gehört auch "eine detaillierte Planung der aktuellen Spielzeit, in der personelle Gegebenheiten, Werkstattkapazitäten, das Raumangebot und die Ansprüche der Abonnenten aufeinander abzustimmen sind. Der Disponent muss seinen Betrieb in allen Bereichen genau kennen. Neben guten Kontakten zu allen Abteilungen des Hauses sind Kenntnisse der Tarifverträge und des Arbeitsrechts sowie künstlerisches Einfühlungsvermögen, Improvisationstalent und Organisationstalent, gepaart mit Verhandlungsgeschick, unverzichtbar."

"Planung nach außen und innen: Wer probiert wann auf welcher Bühne", so formuliert es Rainer Steinhilper selbst. Eine bestimmte Ausbildung gibt es dazu übrigens nicht. "Wenn Sie sich in Deutschland umhören, werden Sie feststellen, dass jeder meiner Kollegen einen anderen Werdegang hat und andere Voraussetzungen mitbringt. Und die Situation ist in jeder Stadt ein bisschen anders", sagt Steinhilper.

Sein Weg war so: Geboren wurde er 1956 in Bruchsaal. Eigentlich interessierte sich Steinhilper zunächst für die Gastronomie. "Ich hatte immer Spaß am Kochen und Organisieren von Festivitäten", erzählt er. Während der Schulzeit jobbte er als Kellner. Doch irgendwann zerschlug sich dieser Berufswunsch. Jurist wie die drei großen Brüder wollte er auf keinen Fall werden. Das Theater hatte es ihm angetan. Schon in der Schule hatte er eine Theatergruppe gegründet. Und weil die Berufswahl zunächst in Richtung Regisseur ging, studierte er Theaterwissenschaft und Kulturelles Management in Wien. Anschließend arbeitete er als Regieassistent bei den Bregenzer Festspielen und in Augsburg.

Das erste Stück, das er in Augsburg auf die Bühne brachte, war "Hase und Igel". In die Rolle des Hasen schlüpfte damals Harald Schmidt, der 1981 gemeinsam mit Steinhilper in Augsburg begann und später mit der Harald-Schmidt-Show von sich reden machte. "Er wusste damals schon, dass er irgendwann mal eine große Fernsehshow macht", erinnert sich Steinhilper. Denn schon in Augsburg hatte er mit Entertainerqualitäten geglänzt.

Auch Steinhilper entschied sich für einen anderen Weg. "Als Regisseur zigeunert man doch ziemlich rum. Ich war für diese Zeit auch viel zu bieder, zu konventionell." Und: In Wien hatte er seine jetzige Frau kennengelernt. Sie wollten eine Familie. In Heilbronn arbeitete er eine Spielzeit lang im Bereich Öffentlichkeitsarbeit - und merkte dann, dass ihm vor allem das Organisieren lag. In Reutlingen, Tübingen und Ingolstadt waren Disponentenstellen frei. Und so kam Steinhilper nach Ingolstadt, wo Ernst Seiltgen seit 1973 (bis 1994) Intendant war. "Ich mochte die Stadt von Anfang an ganz gern. Obwohl sie damals noch lange nicht so hergerichtet war." Und: "Das Theater hatte eine deutlich solistischere Position als heute. Es gab den Konzertverein, das Theater und das Kino. Und es war wichtig, den Konzertverein-Kalender zu kennen, damit es nicht zu Überschneidungen kam." Weil es für den Beruf keine spezielle Ausbildung gibt, hielt er sich an das Motto: Learning by Doing. "Man ist da, wenn man gebraucht wird. Weil man nie weiß, was passiert, kann auch keine Routine aufkommen. Das macht den Job spannend." Am Abend muss der Vorhang hochgehen. "Falls nicht, ist es echt unangenehm!"

Der Horror? Kranke Schauspieler, nicht funktionierende Technik, Feuerwehreinsätze und dieser eine Abend, an dem der musikalische Leiter nicht auffindbar war. Der Ersatz aus München kam mit dem Taxi, fing ohne Noten an zu dirigieren (die mussten mittels Polizeieinsatz aus dem Haus des verschollenen Musikers geholt werden) und wurde später selbst musikalischer Leiter am Haus: Stephan Kanyar. Erst Tage später stellte sich heraus, dass der gesuchte Orchesterleiter Aloys John während der Zugfahrt einem Herzinfarkt erlegen war.

Rainer Steinhilper hat viel erlebt in den 30 Jahren, in denen er am Haus ist. Und ein paar kurze Abstecher ins Regiefach gab es dann doch noch: Von 1991 bis 2000 inszenierte er das historische Festspiel "Der Meistertrunk" in Rothenburg ob der Tauber, 2004 führte er Regie an der Oper Stettin bei Nico Dostals "Clivia".

Jetzt ist er 61, und wenn es um seine Arbeit geht, dann spricht er immer noch von seinem "Traumjob". "Klar wäre es eine Herausforderung, die neuen Kammerspiele aufzusperren", sagt er. Aber: "Ich weiß nicht, ob ich mir einen fünften Intendanten antun muss." "Denn diese Phase des Intendantenwechsels ist arbeitstechnisch und emotional sehr schwierig. Man muss versuchen, loyal dem einen gegenüber zu sein und soll gleichzeitig mit dem Neuen den Wechsel vorbereiten. Ich habe das dreimal gemacht. Das ist keine einfache Zeit." Außerdem hatte der Beruf drei Jahrzehnte lang großen Einfluss auf sein Privatleben. Zwar sind seine vier Kinder schon groß, aber jetzt fordern die beiden Enkel (zwei Jahre, vier Monate) den Opa. Und: In den vergangenen Jahren hat er das Reisen mit dem Wohnmobil entdeckt. "Ich freue mich also jetzt schon auf den Tag, an dem meine Frau und ich losfahren und all die Festivals und Konzerte erleben können, die wir in den letzten Jahren verpasst haben."