Herr
"Ich bin kein guter Diplomat"

Volker Schlöndorff über seinen neuen Film, seine Liebe zur Stadt Paris und die Enthüllungen von Wikileaks

22.08.2014 | Stand 02.12.2020, 22:19 Uhr

 

Volker Schlöndorff über seinen neuen Film, seine Liebe zur Stadt Paris und die Enthüllungen von Wikileaks

Herr Schlöndorff, Sie als wohl frankophilster aller deutschen Regisseure erzählen in Ihrem neuen Film "Diplomatie", wie ein deutscher General im August 1944 überzeugt wird, Paris nicht zu zerstören. Das klingt schon fast zu naheliegend, um wahr zu sein.
 
Volker Schlöndorff: Es sollte ja auch gar nicht dazu kommen. Das Theaterstück, auf dem der Film basiert, lief schon vor einigen Jahren in Frankreich. Zwei französische Regisseure hatten sich seither an der Verfilmung versucht. Aber sie haben das Handtuch geworfen und dadurch war dann leider schon ein Viertel des Budgets aufgebraucht, als ich das Projekt übernahm. (lacht)

 

Wissen Sie, warum die Kollegen das Handtuch warfen?

Schlöndorff: Die hatten wohl einfach für sich beschlossen: Das wird nichts. Ich weiß nicht, warum, aber einer von denen hat mich dann vorgeschlagen. Dafür bin ich ihm dankbar. Wenn wir eine halbe Million Zuschauer in Frankreich haben, werde ich ihn zum Abendessen einladen. Ins beste Lokal. Ins Hotel Le Meurice vielleicht.

 

Dort hat auch der deutsche General Dietrich von Choltitz residiert, einer der Protagonisten von „Diplomatie“. Die Handlung des Films spielt hauptsächlich in seiner Suite.

Schlöndorff: Allerdings sind gewisse Details dieser Suite frei erfunden, der durchsichtige Spiegel zum Beispiel und die geheime Tür zur Treppe, über die einst Napoléon III. seine Geliebte zu sich kommen ließ. Das sind Boulevard-Theater-Elemente, die gefielen mir aber. Was der Film erzählt, ist ja auch weitestgehend fiktiv, aber er beruht auf dem historisch verbürgten Treffen vom schwedischen Generalkonsul Raoul Nordling und von Choltitz. Dabei sprachen sie auch von der Schönheit der Stadt Paris und über die Gefahr ihrer drohenden Zerstörung. Schließlich überreichte Nordling dem General einen Brief der Alliierten, mit dem Vorschlag, durch Kapitulation die Stadt unbeschädigt zu übergeben.

 

Der Film wirkt auch wie Ihre persönliche Liebeserklärung an Paris.

Schlöndorff: Ich kenne da jede Brücke, jedes Bauwerk. Seit meinem siebzehnten Lebensjahr habe ich jeden Winkel der Stadt erkundet. Ich glaube, während meiner Regieassistenzen bei Louis Malle und Jean-Pierre Melville bin ich mehr durch die Gegend gefahren als jeder Taxifahrer. Ich liebe Paris. Und die Möglichkeit, ein halbes Jahrhundert später das Fortbestehen dieser Stadt zu würdigen, ist ein wahres Geschenk für mich. Wäre Paris ausradiert worden, kann ich mir nur schwer vorstellen, wie die deutsch-französische Freundschaft hätte entstehen und Europa zu Stabilität zurückfinden sollen.

 

In Ihrer Autobiografie schreiben Sie, dass Ihr Vater sich gewünscht hat, dass Sie selbst Diplomat werden.

Schlöndorff: Das ist absolut wahr. Allerdings hat man mir dann immer bescheinigt: Also, ein Diplomat ist er nicht! (lacht)

 

Was macht die Kunst der Diplomatie aus?

Schlöndorff: Die erste Voraussetzung ist der Glaube, dass man durch Reden Konflikte lösen kann. Da bin ich von Haus aus eigentlich schon mal skeptisch. In Konfliktsituationen fällt es mir eben sehr schwer, miteinander zu reden. Ich bin dann geladen, nicht gesprächsbereit. Aber ein ausgetragener Konflikt endet selten mit einem klaren Sieger und Verlierer, sondern meistens mit zwei Verletzten. Da wäre es dann doch schon besser, vorher zu verhandeln. Wenn man sich die Geschichte so ansieht, ist die allererste Aufgabe der Diplomatie, einen Krieg zu verhindern. Und die zweitvornehmste ist, einen angefangen Krieg wieder zu beenden. Denn die Generäle können keine Kriege beenden. Die schießen immer weiter, bis zur letzten Patrone. Der erste Weltkrieg hätte bei guter Vermittlung erstens verhindert und zweitens spätestens nach zwei Jahren beendet werden können, denn keiner hatte mehr etwas zu gewinnen.

 

Worauf kommt es in der Diplomatie konkret an?

Schlöndorff: Ich glaube, ein Diplomat muss in dem anderen den Menschen ansprechen. Und das kann er nur, indem er sich auch selbst als Mensch öffnet. Das ist eigentlich das Gegenteil von dem Bild, das man von Diplomaten hat: aalglatt, mit Seidenhandschuhen. So einem traut doch niemand. Ein Diplomat muss verletzbar sein und sich zu seinen persönlichen Vorlieben bekennen. Er darf nicht feige sein, er muss sozusagen ausleben, wer er ist und dann kann er den anderen dazu zwingen, sich ebenfalls zu öffnen. Da geht es überhaupt nicht um jene elegante Florett-Fechterei, als die so eine Verhandlung oft dargestellt wird. Ein Diplomat muss auch verzweifeln, er kann einen Zusammenbruch oder einen Ausbruch haben.

 

Was bedeuten die Enthüllungen von Wikileaks oder die Veröffentlichung abgehörter Telefonate für die Diplomatie? Gehen wir auf ein postdiplomatisches Zeitalter zu?

Schlöndorff: Nein. Wenn die US-Diplomatin Victoria Nuland zum Beispiel bei einem Telefonat „Fuck the EU“ sagt, dann ist das doch wie Pokern mit offenen Karten. Ein Diplomat muss ja gar nicht unbedingt seine Mittel verheimlichen. Der Vorwurf, dass Wikileaks angeblich alle Diplomatie zunichte machen würde, beweist eine vollkommen falsche Vorstellung von Diplomatie. Als würde es darum gehen, den Gegner zu täuschen. In der Verhandlung in meinem Film „Diplomatie“ täuscht Nordling nur einmal. Er verspricht, die Familie des Generals zu beschützen, obwohl er gar nicht vorhat, dieses Versprechen zu halten.

 

Man ist geneigt, Nordling das übel zu nehmen.

Schlöndorff: Gott sei Dank ging die Geschichte ja positiv aus. Natürlich hat in dem Moment der Diplomat billigend in Kauf genommen, dass es auch anders hätte ausgehen können. Nach seiner Weigerung, den Führerbefehl der Zerstörung von Paris auszuführen, hätte von Choltitz’ Familie deportiert werden können. Aber eigentlich würden doch auch wir Zuschauer insgeheim sagen: Die Rettung von Paris und ihrer Bewohner wäre dieses Bauernopfer wert gewesen. Ich würde umgekehrt ja auch sagen: Ja, ich opfere meine Familie für ein höheres Ziel. Das sagt sich jetzt so locker, wenn man hier sitzt und nicht in so einer Situation steckt. Aber ich kann von Choltitz’ Grundhaltung nicht wirklich nachvollziehen. Er ist mit der Offiziersdisziplin aufgewachsen, hat seinen Eid geschworen. Ehre. Vaterland. Das sind alles Werte, die für mich keine sind. Nicht mal die Familienehre. Ich würde wahrscheinlich sehr gut mit einer beschmutzen Familienehre leben. Aber das sind Begriffe für die Menschen einmal gelebt, sich duelliert und erschossen haben.

 

Für welche Werte würden Sie sich denn heute duellieren?

Schlöndorff: Das kann ich nicht beantworten . . . Vielleicht für eine Frau.

 

Sagen Sie das jetzt, weil das so schön französisch klingt?

Schlöndorff: Nein, weil es das einzige Beispiel ist, das mir konkret einfällt.

 

Das Interview führte

Ralf Kräm.

 

Eine Kritik des Films erscheint nächsten Donnerstag in unserer Beilage „unterwegs“.