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"Theater ist für mich ein politischer Ort"

17.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:28 Uhr

André Bücker hat sich zwei Inszenierungen pro Spielzeit vorgenommen: "Peer Gynt" und "La forza del destino". - Foto: Naumann

Für seine erste Spielzeit in Augsburg plant der neue Intendant André Bücker einen interaktiven "Tatort" und ein Fugger-Musical auf der großen Freilichtbühne. Was er sonst noch vorhat und für welches Theater er steht, verrät er im Interview.

Augsburg (DK) Eigentlich wollte André Bücker (48) Archäologe werden. Bis er als Schlagzeuger in einer Punkband anfing. "Wir waren nicht besonders gut, aber sehr laut", erinnert er sich lachend. Sein Proberaum lag unmittelbar neben dem Raum, in dem sich die Theatergruppe traf - was zu gewissen Schwierigkeiten führte. Irgendwann überredete ihn der Regisseur, die Technik für die Produktion zu übernehmen. "Eigentlich, um mich vom Spielen abzuhalten, aber von diesem Augenblick war ich infiziert. Ich wusste, ich wollte zum Theater." Dort ist André Bücker längst angekommen. In der kommenden Saison übernimmt er die Inten-danz am Theater Augsburg als Nachfolger von Juliane Votteler.

 

Herr Bücker, für welche Art von Theater stehen Sie?

André Bücker: Für ein Theater, das sich mit der Stadt auseinandersetzt. Das versucht, sich der Stadtgesellschaft zu öffnen und Kooperationen mit anderen Kulturinstitutionen einzugehen. Ich schätze Theater, das sich intensiv mit der Gegenwart auseinandersetzt. Im Musiktheater beispielsweise sind drei von sechs Produktionen von zeitgenössischen Komponisten. Im Schauspiel beschäftigen wir uns mit aktuellen gesellschaftlichen und politischen Fragen. Und ich verstehe Theater als Ort des Diskurses: Wir wollen intensiv mit dem Publikum kommunizieren.

 

Was sind das für Kooperationen?

Bücker: Ich bin in Augsburg unglaublich herzlich aufgenommen worden, und es ergaben sich viele Kontakte, aus denen sicherlich irgendwann etwas entsteht. Beispielsweise gibt es mit dem Textilmuseum intensive Gespräche über mögliche Partnerschaften. Wir planen Kooperationen mit freien Theatern - und mit Künstlern aus dem pop- oder subkulturellen Bereich, die wir einbeziehen wollen: Musiker, Videokünstler, die in Inszenierungen mitwirken. Da gibt es gerade sehr viel Austausch.

 

Sie waren zuletzt Generalintendant des Anhaltischen Theaters Dessau. Macht man in Sachsen-Anhalt ein anderes Theater als in Bayern?

Bücker: Ich glaube nicht, dass man ein Theaterkonzept eins zu eins von einer Stadt in eine andere übertragen kann. Theater macht man stets für einen bestimmten Ort. Aber würde man auf die Dessauer Spielpläne der vergangenen Jahre schauen, könnte man dieselben Linien erkennen - was das Nachdenken über Theater anbelangt.

 

Werden Sie ein inszenierender Intendant sein?

Bücker: Ja. Ich halte das für ganz wichtig. Nicht nur, weil es für mich eine künstlerische Notwendigkeit ist. Schließlich komme ich von der Regie. Sondern weil ein Intendant sein Haus auf diese Weise auch intensiver kennenlernt.

 

Was werden Sie inszenieren?

Bücker: Ich habe mir zwei Inszenierungen pro Spielzeit vorgenommen. Die Eröffnung im Schauspiel: "Peer Gynt" und in der Oper "Die Macht des Schicksals" von Giuseppe Verdi.

 

 Wie sehen Sie die Zukunft Augsburgs als Drei-Sparten-Haus? Wollen Sie vielleicht in einer Sparte einen Schwerpunkt setzen?

Bücker: Also zunächst mal wäre es unvorstellbar, dass sich eine Stadt wie Augsburg, die bald 300.000 Einwohner zählt und auf ein unfassbar reiches kulturhistorisches Erbe bauen kann, kein Drei-Sparten-Haus mehr leisten können soll. Die drei Sparten werden absolut gleichwertig behandelt. Trotzdem haben die Sparten unterschiedliche Stärken und Mechanismen, sprechen auch unterschiedliches Publikum an. Das Schauspielensemble ist klassischerweise auch immer ein Motor eines Theaters - was die inhaltliche Arbeit betrifft. Hier ist man viel flexibler als im Opernbetrieb. Was das Ballett anbelangt: Der Tanz ist in Augsburg sehr erfolgreich. Auch mit Ricardo Fernando wird es keinen radikalen Bruch in den Stilistiken geben, wohl aber neue Handschriften, neue Choreografen.

 

Wird es einen Wechsel im Ensemble geben?

Bücker: Zumindest keinen radikalen Wechsel. Ein Drittel bleibt, ein Drittel bringen mein Team und ich mit und ein Drittel kommt neu hinzu. Wir wollen aus der Kontinuität heraus neue Dinge angehen.

 

Haben Sie ein Motto für die Arbeit, das Theater?

Bücker: Ich glaube an das Theater als eine aufklärerische Kraft. Ich glaube auch, dass das Theater ein Ort ist, an dem Werte vermittelt werden, ein zutiefst demokratischer Ort. Insofern ist das Theater für mich immer ein politischer Ort gewesen - ohne parteipolitisch zu sein. Es gibt ja das berühmte Schiller-Zitat vom Theater als moralischer Anstalt. Das finde ich nicht falsch.

 

Als Knut Weber in Ingolstadt Intendant wurde, hat er ein eigenes Kinder- und Jugendtheater aufgebaut. Wie ist das in Augsburg?

Bücker: In Augsburg wird das Kinder- und Jugendtheater sehr stark von freien Theatern abgedeckt. Ich denke da beispielsweise an das Junge Theater im Abraxas. Diesen Gruppen muss ich nicht Konkurrenz machen. Wir wollen das eher durch Kooperationen fördern. Wir bieten "Momo" als großes Familienstück zur Weihnachtszeit an. Und mit "Die große Wörterfabrik" auch eine Kinderoper. Außerdem werden wir unsere Aktivitäten in Sachen Bildungs- und Vermittlungsarbeit intensivieren. Es gibt künftig zwei Stellen in der Theaterpädagogik, die nicht nur Stücke begleiten, sondern auch Workshops anbieten. Und natürlich wird es eine Reihe von Spielclubs geben.

 

Sie wollen das Theater öffnen, rausgehen in die Stadt. Aber das Theater ist ja schon überall in der Stadt.

Bücker: Im Moment ist es vor allem für Juliane Votteler und ihre Mannschaft kompliziert. Und sie leisten da tolle Arbeit. Diese kurzfristige Schließung des Großen Hauses war wirklich eine große Katastrophe für alle. Aber das Publikum reagiert toll, das hält wirklich zum Theater. Meine Situation ist eine ganz andere: Für mich war klar, wenn ich antrete, gibt es das Große Haus nicht mehr. Ich habe mich ganz explizit für diese Situation vorbereitet. Weil sie dem entgegenkommt, was ich sowieso mag: Aufbrüche, Umbrüche, neue Orte, Öffnung in die Stadt. Ich bin mit der neuen Lösung sehr zufrieden. Der Martini-Park als Ersatzspielstätte für das Große Haus verfügt über 600 Plätze. Klar: Das ist eine Fabrikhalle, aber man kann dort toll Theater machen. Und wenn die Brechtbühne geschlossen wird, ziehen wir ins Gaswerk in Oberhausen. Das ist ein Ort, der bestimmt Kultcharakter entwickeln wird. Denn da zieht nicht nur das Theater ein, dort entstehen auch Künstlerateliers und Proberäume für Bands. Das spricht für einen spannenden Austausch - und ist überdies ein hochinteressantes Stadtentwicklungsprojekt.

 

Was muss man sich unter dem "Tatort" vorstellen?

Bücker: Dieses Format haben wir in Dessau mit Riesenerfolg gespielt: ein interaktiver Stadtkrimi mit Kommissaren, Live-Schauspiel und Video-Einspielern. Wir planen drei Folgen mit drei Ermittlerteams. Wird doch Zeit, dass Augsburg auch seine "Tatort"-Kommissare bekommt. Und möglicherweise klären wir auch mal ein historisches Verbrechen auf.

 

Es wird ein Fugger-Musical geben, für das Stephan Kanyar die Musik schreiben wird. Er war lange Jahre musikalischer Leiter am Stadttheater Ingolstadt.

Bücker: Mit Stephan Kanyar habe ich Anfang der 90er-Jahre in Bochum meine allererste Inszenierung gemacht. Es war ein selbst geschriebenes Musical, und Stephan Kanyar hat Klavier gespielt. Wir hatten immer nur sporadisch Kontakt, bis wir in Dessau ein "Casanova"-Musical auf die Bühne gebracht haben, für das er die Musik geschrieben hat. Das war extrem erfolgreich. Mit dem gleichen Team realisieren wir nun "Herz aus Gold". Das Fugger-Thema liegt in Augs- burg ja auf der Hand.

 

Im Moment erleben wir ja auch so eine Art reaktionären Rollback: Findet sich deshalb auf Ihrem Spielplan die Stückentwicklung zu "50 Jahre 1968"?

Bücker: Auf jeden Fall. Wir haben da einen sehr jungen Regisseur - Namen verrate ich noch nicht -, der Themen wie die Studentenrevolte, den Feminismus, die außerparlamentarische Opposition aus der Perspektive der jungen Generation befragt. Nicht als nostalgischen 68er-Abend mit ein bisschen Hendrix. Auch wenn bei vielen vermutlich der "Tatort" und das Fugger-Musical hängenbleibt - im Ganzen ist es schon ein sehr politischer Spielplan. Von "Peer Gynt" als Sinnsucher-Drama, das programmatisch am Spielzeitbeginn steht, über Brechts brisantes Fragment "Fatzer" und "Das Kind träumt" von Hanoch Levin, eine Allegorie auf Krieg und Flucht, bis zu Turgay Nars "Spiel der Schahrazad", das das Frauenbild des Islam befragt.

 

Haben Sie denn ein Motto über die Spielzeit geschrieben?

Bücker: Motto wäre vielleicht zu viel gesagt. Aber wir haben mit dem Begriff "Sinnsucht" gespielt - so eine Mischung aus Sinn, Sucht, Sehnsucht und Sinnsuche.

 

Die Fragen stellten Anja Witzke und Berndt Herrmann.

 

 

ZUR PERSON

André Bücker studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften, Geschichte und Philosophie in Bochum, assistierte am Theater Dortmund und arbeitete ab 1994 in verschiedenen Funktionen für das Kunstfest Weimar. Seit 1995 ist er als Regisseur tätig. Von 2005 bis 2008 war er Intendant am Nordharzer Städtebundtheater und von 2009 bis 2015 Generalintendant des Anhaltischen Theaters Dessau. Ab 2017/18 ist er Intendant des Theaters Augsburg mit etwa 370 Mitarbeitern und einem Etat von 26,6 Millionen Euro im Jahr.