"In einem Meer von Musik"

19.10.2016 | Stand 02.12.2020, 19:09 Uhr

Musikalische Grenzgängerin: Olivia Trummer komponiert Filmmusik, ist Jazzpianistin, Sängerin und hat ein ausgesprochenes Faible für Klassik - von Kindesbeinen an. Am 3., 4. und 5. November steht die Jazzpreisträgerin von 2014 auf der Bühne im NH Hotel in Ingolstadt. - Foto: Dietmar Scholz

Olivia Trummer spricht im Interview über ihre Kindheit, Noten und Klassik. Die Pianistin und Sängerin tritt bei den Ingolstädter Jazztagen auf.

Frau Trummer, Sie haben einmal gesagt, dass Sie Ihre Kindheit in einem "musikalischen Paradies aus Klang, Geschmack und Intuition" verbracht haben. Wie muss man sich das vorstellen?

Olivia Trummer: Ich bin in einer Musikerfamilie aufgewachsen, da stand ganz zentral im Wohnzimmer der große Steinway-Flügel. Sieben Tage in der Woche klang Musik durchs Haus - ich bin sozusagen in einem Meer aus Musik aufgewachsen. Ich habe relativ früh selbst mit dem Klavierspielen angefangen - ohne Noten. Meine Mutter hat mir klassisches Klavier über das Gehör und über das Vor- und Nachspielen beigebracht. Ich habe damals Melodien nachgespielt, kleine Stücke erfunden und mir das Klavier langsam, aber beharrlich erobert.

 

Wie wichtig sind Noten?

Trummer: Es war lange Zeit beides wichtig in der europäischen Klassik - mit Noten umzugehen und zu improvisieren. Erst heute ist es aufgespalten und speziell in Deutschland auch noch in ernste und Unterhaltungsmusik. Je mehr Literatur auf Noten vorhanden ist, desto mehr verdient man daran. Das ist eine Richtung, die ich nicht gut finde. Ich denke aber, es wird wieder zusammenwachsen. Notenmaterial ist nichts Schlechtes, kann die Vorstellungskraft fördern und bringt einen auf neue technische Höchstleistungen. Dass man auf Noten angewiesen ist, ist aber nicht gut.

 

Soll das Auswendigspielen bei Auftritten helfen, dass die Augen als Sinnesorgan beim Notenlesen nicht zu viel vom Herzblut beim Spielen nehmen?

Trummer: Im Gegenteil: Die richtig guten Musiker können sogar mit Noten Musik machen. Selbst Abdullah Ibrahim kam bei einem Solo-Konzert in Dublin mit zwei Notenblättern auf die Bühne - er hat improvisiert und sich durch Motive gehangelt, die er offenbar konzipiert hatte. Mit oder ohne Noten - es ist immer der Umgang mit den Dingen, der wichtig ist!

 

Wie ist vor dem Hintergrund Ihrer musikalischen Grundbildung (von Mozart und Bach bis zu den Beatles und Stevie Wonder) Ihr Projekt "Classical to Jazz" zustande gekommen?

Trummer: Ich habe als Kind intensiv klassisches Klavier gelernt und an der Hochschule studiert. Irgendwann habe ich aber die Plattensammlung meiner Eltern gefunden mit den Beatles, mit Stevie Wonder, Santana und Jimi Hendrix. So habe ich angefangen, mich anders zu orientieren. Stevie Wonder ist ein wunderbares Beispiel zwischen Jazz und Pop. Für mich war diese Musik lange Zeit einfach Klang: das eine tänzerischer, das andere wilder. Mozart und Stevie Wonder waren für mich nicht so genau zu unterscheiden.

 

Sie sind anscheinend eine musikalische Grenzgängerin, haben schon Filmmusik komponiert, gelten aber als Jazzmusikerin. Wie sehen Sie sich?

Trummer: Ich merke gerade wieder, wie sehr ich mit der Klassik aufgewachsen und verbunden bin. Jazz ist für mich ein Synonym für das neugierige Kennenlernen und das Finden des eigenen Weges. Jazz ist für mich dieses Gefühl, das ich hatte, als ich noch keine Noten lesen konnte, als ich noch einfach in die Klänge reingeschlüpft bin. Insofern beschreibt mich die Bezeichnung Jazzmusikerin nur bedingt. Ich bin schon sehr stark mit dem Anspruch aus der Klassik groß geworden, mit diesem langen Üben der Stücke und der ganzen Dynamik.

 

Wäre es dann nicht sinnvoll, Sie nur als Pianistin zu bezeichnen?

Trummer: Ich sage ganz gern: Ich bin Musikerin und Pianistin, Sängerin und Komponistin.

 

Worin würden Sie Ihre Stärken als Frau in der Musikszene Europas sehen?

Trummer: Ich sehe mich oft als Beobachterin. Ich möchte auf jeden Fall das Zuhören in die Musik bringen. Ich muss nicht andauernd spielen, sondern ich höre auf der Bühne mehr zu, auch mir selbst, wenn ich solo spiele. Ich versuche, in mir zu ruhen. Das sehe ich prinzipiell als etwas Weibliches: das In-Sich-Ruhen und Geduld-Haben beim Spielen und eben das Zuhören-Können. Damit möchte ich gerne die Szene prägen im Gegensatz zur Ellbogenmentalität, die oft vorherrscht. Ich würde mir auch wünschen, dass meine Musikstücke Beine und Flügel bekommen und von anderen interpretiert und unabhängig von mir aufgeführt werden. Meine Musikstücke sind für mich wie Kinder, vielleicht ist das auch etwas Weibliches.

 

Wie empfinden Sie Ihre Selbstständigkeit als Musikerin? Müssen Sie mehr als die Männer für Ihr Auskommen kämpfen?

Trummer: Nein. Als Frau hat man ab und zu den Vorteil, dass man in dieser männerdominierten Welt als Kontrast sehr willkommen ist. Andererseits gibt es auch immer mal wieder Momente, in denen ich denke, dass es einfacher wäre, ein Mann zu sein. Ich würde die Linie nicht so scharf zwischen Männern und Frauen ziehen. Es gibt einfach Leute, die können sich besser in ein Produkt verpacken (lassen), sind ganz weit vorne oder wollen ins Rampenlicht - das ist nicht geschlechtsspezifisch.

 

Was würden Sie jungen Musikerinnen mit auf den Weg geben?

Trummer: Es ist wichtig, dass man sich selbst treu bleibt! Und das ist gar nicht so leicht, denn man entdeckt sich bis zum Lebensende selbst immer wieder ein Stückchen weiter und besser. Man lässt sich im Musikbusiness ganz schnell zerreden und organisieren - die Gefahr ist groß, sich optimal zu verpacken und in diese Maschinerie einzusteigen. Deshalb: Man muss sich selbst zuhören und bei sich bleiben!

 

Das Interview führte

Sandra-Isabel Knobloch.