Frankfurt
Die scheue Modemacherin

Das Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt widmet Jil Sander die erste Einzelausstellung

07.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:51 Uhr

Foto: DK

Frankfurt (DK) Mit 21 Jahren mochte sie noch nicht einmal alleine ans Telefon, mit 23 wurde sie ehrgeizig und eröffnete ihre erste Boutique. Die Ersten, die kaufen, sind Hamburger. "4200 Mark", flötet eine Kundin zur Kasse hin, und Jil Sander, wie immer, "auf Rechnung, wie immer" Und dann dieser Satz, in einem Beitrag des NDR aus 1976: "Wir haben versucht, uns in einer niedrigeren Preislage anzubieten, aber bemerkt, dass das immer auf Kosten des Materials und der Verarbeitung gehen wird." Der Rest ist Geschichte. Modegeschichte.

Zur Eröffnung der Ausstellung "Präsens" im Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt bleibt die scheue Modemacherin nur ganz kurz. Fünf Jahre hat der neue Direktor des Hauses, Matthias Wagner K, auf diese Schau hingearbeitet, gefleht, charmiert, antichambriert: Erstmals in der Welt eine Einzelausstellung der Frau, deren "Fehlen man bemerkt" (Franca Sozzani, Chefin der Italian Vogue), als sie sich einmal völlig aus der Branche zurückzieht. So etwas sagte man zuletzt von Coco Chanel. Diese ihre Ausstellung bereitet Jil Sander seit 2016 vor.

Das Museum für Angewandte Kunst am Ufer des Mains hat einen entscheidenden Vorteil: Es wurde von Richard Meier, dem amerikanischen Stararchitekten, erbaut, der bei der Eröffnung des Hauses 1985 sagte, "es lässt keine Museumsmüdigkeit aufkommen, weil das natürliche Licht aus ungeahnten Winkeln überraschend hereinströmt". Nun strömt Jil Sanders Mode aus ungeahnten Winkeln überraschend entgegen. Die beiden Weltstars wirken quasi komplementär, sie erheben sich gegenseitig. Museumsmüdigkeit? In dieser Werkschau ist man von Saal zu weißem Saal hellwach.

Werbung ist Kunst - und Kunst ist Werbung - und beides ist auch Mode. Jil Sander hat es als eine der Ersten und als eine der ersten Frauen zumal, in Logik, Dynamik und Vision wie nur wenige erkannt.

Man mag vor den stilbildenden Kampagnen im zweiten Obergeschoss, meterhoch an drei Wände projiziert zu sphärischer Musik, daran erinnern, dass sie die Erste war, die mit ihrem Gesicht für ihr erstes Parfüm "Woman Pure" warb. Ihr Porträt schoss Fotolegende Francesco Scavullo.

Und dann hinab, in den gleißend hellen ersten Stock: Eine berauschende Fülle an wunderbaren Kleidern, Stoffen, Farben! Vornehmlich: schwarz, grau, weiß, beige, braun und dunkelblau. Kostbarstes Material, das zum Anfassen animiert: die Berührung! Unfassbar! Vicuna, die teuerste Zickleinwolle der Welt! Ein Mantel aus diesem Material fängt bei 12 000 Euro an. Federleicht und weich wie Schnee.

Und obwohl Jil Sander persönlich gar nicht anwesend ist, gar nicht anwesend sein muss, ist sie doch allüberall: "Meine ästhetischen Vorstellungen entwickeln sich aus dem, was ich vom Zeitgeist erspüre", sagt sie. "In der Innovation der Materialien liegt ein ästhetisches Potenzial, das die Mode der Zukunft maßgeblich bestimmen wird." Jedes Wort ein Verdikt. Jil Sander, das Modeorakel.

Da wäre einmal die Zeitlosigkeit im ersten Stock der insgesamt 3000 Quadratmeter Ausstellungsfläche. Da ist der Saal mit den "Icons", den Ikonen der Kollektionen von 1997 bis 2014. Hier wirken die seltsam mit demütig geneigtem Holzkopf verharrenden Kleiderpuppen wie aus einer einzigen Epoche. Der Sander-Epoche. Weil einfach der Standard der makellosen Qualität so perfekt ist. Die Schnitte einzigartig in ihrer Präzision. Die hohen Preise? "Meine Philosophie ist, dann hat man halt weniger", sagt die Sander einmal, schon 1976, eine prophetische Hinrichtung von H&M und ZARA und Konsorten. Sie wollte die Frauen am Arbeitsplatz emanzipieren, ihnen funktional-elegante Kleider schaffen, die sie mit den Männern im Maßanzug auf eine Stufe stellt. Und - da ist er, der Zeitgeist - sie erahnte die geschlechtsspezifischen gesellschaftlichen Umwälzungen. Da erscheint eine Jil Sander AG als die natürliche Lösung. Hier, in Frankfurt, bringt sie ihr Unternehmen an die Börse.

Jils Geschmack, ihr Empfinden, ihr Urteil sind das Fundament ihres Erfolges: An Bord eines Concordefluges, erzählt man sich, entscheidet sie sich kurz vor Inserienstellung eines Parfüms spontan gegen die Form des Flakons und stoppt die Produktion. Ihre Mitarbeiter dürfen - so heißt es - mittags nicht warm essen, sie ertrüge die Gerüche nicht.

Eine Modeprofessorin, damals Assistentin, rollt noch immer mit den Augen: In den Räumen der Ateliers seien die Fensterbretter abgeschrägt, damit niemand etwas hinstellen könne. Frau Sander ertrüge keine Blumentöpfe. Im zweiten Stock im Museum kann man sie auch einmal ganz klein sehen. Auf einem Foto hinter den Kulissen, am Strand, irgendwo in der Karibik, zur Kampagne mit Topmodel Linda Evangelista, vom Starfotografen Peter Lindbergh überrascht: Da lehnt sie sich im Klappstuhl zurück, die Hände verspielt im Haar. Und lacht. "Es gehört auch ein kleines bisschen Glück dazu", sagte sie einmal.

"Präsens" läuft noch bis 6. Mai. Weitere Infos unter www.www.museumangewandtekunst.de" class="more"%>.