Erlangen
Sphärenflug und Furchenblick

30.08.2015 | Stand 02.12.2020, 20:52 Uhr

Gespannt hörten auch die jungen Leser zu: Mehr als 12 000 Besucher wurden beim Erlanger Literaturfestival gezählt. - Foto: Pöhlein

Erlangen (DK) Reich bebildert und 600 Seiten stark: Auf dem Poetenfest hat der Publizist und langjährige Nürnberger Kulturdezernent Hermann Glaser die erste Literaturgeschichte Frankens vorgestellt.

Dabei versteht sich Glasers Werk nicht als Literaturgeschichte im klassischen Sinne; vielmehr wirft Glaser den Blick auf Schriftsteller, Dichter und Denker und ihre Werke, die in der Kulturlandschaft zwischen Main und Donau Romantik und Realismus, Heimat und Provinz oder – wie Jean Paul – „Sphärenflug und Furchenblick“ literarisch unter einen Hut zu bringen versuchten. Da stehen das Mittelalter und Walther von der Vogelweide als Urvater fränkischer Literatur schlechthin zwar am Anfang, aber ob Walther von der Vogelweide, der wohl bedeutendste Lyriker frühmittelalterlicher deutscher Dichtung, tatsächlich aus Franken stammt und in Würzburg im Grabe liegt, ist bis heute beliebte Behauptung in fränkischen Landen.

Danach geht es in dieser Literaturgeschichte, die eigentlich eine Ideengeschichte ist, durch die Jahrhunderte, nicht immer chronologisch, sondern Themen und Stoffe, Historisches und Politisches, Mentalitäten und Sozialgeschichtliches bis hin zum Sozialpathologischen zusammenfassend und mit Kommentaren versehen. Stationen sind die Nürnberger Humanisten und Hans Sachs, der mit seiner Spruchdichtung und seinen Meistergesängen zumindest mit Richard Wagners „Meistersingern von Nürnberg“ überlebte. Der „sprichwörtliche Nürnberger Trichter“ des barocken „Pegnesischen Blumenordens“, der bis heute existierenden und damit ältesten deutschen Literatur- und Sprachgesellschaft, folgen, ehe man bei Goethe in Franken landet, der seinen „Götz von Berlichingen“ im Fränkischen ansiedelt.

Dass die deutsche Romantik in der „Fränkischen Schweiz“ ge- und erfunden wurde, weiß man aus den „Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders“ von Ludwig Tieck und Wilhelm Heinrich Wackenroder, worin die beiden ihre Wanderung von Nürnberg nach Bamberg niederlegten. Ob man Jean Paul als „fränkischen Dichter“ vereinnahmen kann, wagt auch Hermann Glaser zu bezweifeln, denn der deutsche Klassiker dichtete weit über Franken hinaus. Was auch von dem Philosophen Friedrich Hegel gilt, der kurz in Bamberg und Nürnberg weilte. Mit E. T. A. Hoffmann ist man dann wieder in Bamberg, wo der Dichter sein „romantisches Bildungserlebnis“ hatte, freilich aber ebenfalls nicht länger verweilte. Ganz im Gegensatz zu Ludwig Feuerbach, dem „Atheisten“, der in Nürnberg völlig verarmt starb und begraben liegt.

Einen Exkurs widmet Glaser der fränkischen Mundartdichtung, die mit dem Nürnberger Autor Fitzgerald Kusz, dem Erlanger Helmut Haberkamm und dem Bamberger Gerhard Krischker dem breitmäulig fränkischen Idiom literarisch einen Durchbruch erzielte. Die „Gruppe 47“ schließlich fand in Franken, auf ihrer Tagung auf der Pulvermühle in der Fränkischen Schweiz, ihr unrühmliches Ende. Glaser geht folgerichtig auf eines der prominentesten Mitglieder, Hans Magnus Enzensberger ein, der einige Jahre in Nürnberg lebte und in Erlangen studierte.

Sein Streifzug endet in der Gegenwart, nennt Namen wie die beiden Bamberger Schriftstellerinnen Tanja Kinkel und Nora Gomringer, Letztere gerade in Klagenfurt mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet, und die nun auf dem Poetenfest mit einer Lesung zu erleben war.

Hermann Glaser: Franken. Eine deutsche Literaturlandschaft. Epochen – Dichter – Werke. Schrenk-Verlag, 582 Seiten, 65 Euro.