Ein
Die Stunde der Bauernfänger

Im "Tatort: Wacht am Rhein" beschäftigen sich die Kommissare Ballauf und Schenk mit einer Bürgerwehr

13.01.2017 | Stand 02.12.2020, 18:48 Uhr

Erstmals spielt Klaus Doldinger, Komponist der "Tatort"-Melodie, (mit Regisseur Sebastian Ko) selbst in einer Folge mit. - Foto: Kost/WDR

Ein Mann steht am Eingang eines Fußgängertunnels und spielt Saxofon. Die Kommissare Ballauf und Schenk gehen an ihm vorbei, sind kurz irritiert: "War das nicht" und "Nein, das kann nicht sein!". Doch, er ist es: Klaus Doldinger. Der Mann, der 1970 die Titelmelodie zum "Tatort" geschrieben und eingespielt hat, ist nach mehr als 1000 Krimis der Reihe erstmals selbst in einer Episo-de zu sehen - als Straßenmusiker. Er spielt eine Jazzversion seines Ohrwurms. Ein netter Gag im sonst düster-harten "Tatort: Wacht am Rhein", der einen wichtigen Beitrag zur Diskussion über Migration, Ängste, Vorurteile und Integration in unserem Land leisten will.

In einem Kölner Stadtviertel, das mit großen sozialen Problemen zu kämpfen hat, liegen die Nerven blank. Bürger haben sich zu einer Wehr namens "Wacht am Rhein" zusammengetan und patrouillieren nachts auf den Straßen. Auch Ladenbesitzer Adil und die junge Mutter Nina gehören dazu. Sie werden auf Streife Zeugen eines Überfalls auf eine Zoohandlung. Den begeht ein Mann im Kapuzenpullover. Er bedroht den Inhaber mit einer Waffe, eine Steckdose fällt in eines der Aquarien, Stromausfall. Bürgerwehr-Anführer Gottschalk und der Sohn des Inhabers eilen zu Hilfe. Da fallen Schüsse. Der Täter flieht, der junge Mann ist tot. Unter Verdacht gerät der Nordafrikaner Hamidi. Das weiß Adil nicht, als er sich in der aufgeheizten Stimmung den Studenten Baz schnappt, den er wegen seines Pullis für den Täter hält. Er sperrt ihn in den Keller seines Ladens.

Vieles, was derzeit nicht nur in Köln, sondern in der ganzen Republik diskutiert wird, hat der versierte TV-Krimiautor Jürgen Werner in den brisant-aktuellen Fall reingepackt: mangelndes Vertrauen in die Polizei und die Justiz, Ängste und Vorurteile gegenüber Nordafrikanern nach der Silvesternacht in Köln, fehlendes Rechtsbewusstsein bei manchen Migranten, aufgestauter Hass, Gewalt auf beiden Seiten. "Wahnsinn, wie sich die Welt verändert", lässt der Autor die junge Nina an einer Stelle sagen. Ein Satz, der für die gegenwärtige gesellschaftliche Lage steht. Viele Menschen kommen nicht mehr mit mit den Veränderungen, sind orientierungslos und rennen denen hinterher, die ihnen schnelle Lösungen versprechen. Und viele sehen sich als Opfer. Das greift der Kölner "Tatort" mit Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär auf. Beinahe alle Figuren sind oder glauben hier Opfer zu sein, einige leiten daraus ihre Gewaltbereitschaft ab. Sie fühlen sich bedroht und bedrohen deshalb selbst. Was macht die aktuelle gesellschaftliche Diskussion mit Menschen? Das steht im Zentrum dieses Krimis. Hilflosigkeit führt zu Radikalität, es schlägt die Stunde von Bauernfängern wie dem Ex-Objektschützer Gottschalk (stark gespielt von Sylvester Groth). Regisseur Sebastian Ko findet in seiner frisch-originellen Inszenierung das richtige Tempo und die passenden Bilder, die packende Geschichte umzusetzen. Man taucht ein in dieses Kölner Viertel, die Atmosphäre der Bedrohung und Angst wird spür- und nachvollziehbar. Nur an einigen wenigen Stellen wollen die Macher zuviel. Wenn die Bürgerwehr einen Farbigen verfolgt, der ebenfalls farbige Kommissar Reisser dazwischen gehen will und von der Bürgerwehr drangsaliert wird - ist das zu viel und für den Verlauf der Geschichte nicht wichtig. Solche Szenen nehmen dem Film eher an Dichte.

Manchmal genügt einfach nur ein Blick, so zum Beispiel auf ein großes Werbeplakat mit der Aufschrift "Wir leben Integration". Ein Satz, der sich gut liest, aber nur sehr mühsam mit Leben zu füllen ist, wie der "Tatort: Wacht am Rhein" eindrucksvoll zeigt. Der entpuppt sich am Ende als echte Tragödie. Es gibt beinahe nur noch Verlierer und Traumatisierte. Ein Krimi, der einen mitnimmt - und das im doppelten Sinn des Wortes.

 

"Tatort: Wacht am Rhein" läuft am Sonntag um 20.15 Uhr in der ARD.