Eichstätt
Vom frommen Orthodoxen zum fröhlichen Lover

14.06.2015 | Stand 02.12.2020, 21:11 Uhr

Ironischer Blick: Thomas Meyer im Gutmann - Foto: Buckl

Eichstätt (DK) Er sitzt auf der Bühne, als könne er kein Wässerlein trüben, er lächelt ebenso mild wie auch maliziös ins Publikum, während er liest und erzählt, und das stets mit stoischer Ruhe und ironischem Blick.

Doch seine literarische Figur „Motti“ – so wird Mordechai Wolkenbruch von seiner „Mame“ liebevoll genannt – hat es faustdick hinter den Ohren. Die überaus komisch erzählte Entwicklung dieses jungen Juden vom frommen Orthodoxen zum fröhlichen Lover steht im Mittelpunkt von Meyers Debütroman „Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse“, den er im Rahmen des „LiteraPur2015“-Festivals vorstellte.

Dass der hierzulande noch kaum bekannte Autor immerhin rund 40 Besucher in den Saal der „Gutmann“-Bühne lockte, zeigt, dass „LiteraPur“ im vierten Jahr seines Bestehens offenbar inzwischen zu einer Marke geworden ist.

Es fällt leichter, Meyer zuzuhören, als seinen Text selber zu lesen – zumindest hinsichtlich des ersten Dutzends Seiten. Denn „Wolkenbruchs wunderliche Reise“ ist von jiddischen Begriffen durchsetzt, was dem Autor zwar eine unverwechselbar eigene und originelle Stimme verleiht, aber dem nichtjüdischen „Goj“-Leser die Lektüre erschwert. Worum es sich bei der „mame“ und der „gesunthajt“ handelt ist zwar ebenso klar wie bei dem „nos-tichl“, das man in die Tasche steckt. Aber dass es sich beim „Tuches“ um den weiblichen Hintern handelt und beim „schtup“ um den Vollzug des Beischlafs, das kann man nur in Erfahrung bringen, wenn man das dem Buch beigegebene jiddische Glossar benutzt. Und gerade um den „tuches“ und den „schtup“ geht es ziemlich zentral bei Meyers Motti, der es satt hat, dass seine „mame“ per pausenlos arrangierter Heiratsvermittlung partout bald eine junge Jüdin für ihn finden will, die aber leider allesamt „Duplikate ihrer selbst“ darstellen, mögen sie nun Rachel, Dania, Sara, Mazzal, Rifka, Joelle, oder Bracha heißen. Aber: „Jetzt kannst der eigenen Mutter ja schlecht sagen, das mejdl gefelt mir nicht, die sieht aus wie du!“ Dabei ist Motti doch längst in seine nichtjüdische Studienkollegin Laura verliebt, aus orthodoxer Sicht eine „Schickse“.

Meyer las aus seinem Roman diese Expositionskapitel, aber auch weitere urkomische Textpartien, die etwa die Erkenntnis vermitteln, dass Züricher Juden „zu 95 Prozent einen Toyota Previa fahren“; einen davon hat er zum Beweis fotografiert – „in seinem natürlichen Lebensraum: vor einem Koscher-Geschäft“. Der „Horch“, wie Mottis Mutter einen Audi immer noch nennt, ist für sie dagegen ein „antisemitisches ojto“, eine Passage, die Meyer „in der Nähe von Ingolstadt besonders gern“ vorträgt.

Gern sei er zur Diskussion bereit, meint Meyer am Ende, doch da dies seine 177. Lesung aus diesem Buch war, kenne er die Fragen des Publikums, sodass er sie gleich selbst stellen und beantworten könne. Zum Beispiel: Ja, er sei Jude – aber nie ein orthodoxer gewesen.

Nach der Lesung spielte die bayrisch-polnische Global Shtetl Band mit jiddischen Weisen zum Tanz auf, bestehend aus den drei Musikern Bartek Stanczyk (Akkordeon, Gesang), Daniel Piccon (Percussion, Sanzula, Gesang) und Markus Milian Müller (Gesang, Bass). Die mitreißenden Lieder des Trios handeln vom Trinken, der Traurigkeit und der Liebe; am Ende gab es nach einem höchst beschwingten Abend reichlich Applaus.