Eichstätt
"Das ist eine ganz heikle Sache"

16.04.2014 | Stand 02.12.2020, 22:48 Uhr

Wolfgang Jean Stock - Foto: jbk

Eichstätt (DK) Eine grundsätzliche Diskussion über Kunst und Kirche ist in Eichstätt entbrannt. Anlass ist die umstrittene Neugestaltung des Altarraums im Dom durch den Künstler Rudolf Rott, eine Auftragsarbeit des Domkapitels. Es geht neben anderen Objekten vor allem um einen 2,70 Meter hohen Leuchter für die Osterkerze aus silberfarbenem Tombak, einer speziellen Kupferlegierung. Wolfgang Jean Stock ist Geschäftsführer und Kurator der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst in München. Er war am vergangenen Wochenende zu Gast in Eichstätt und stellt sich angesichts des aktuellen Streits der brisanten Frage: Was kann und was darf christliche Kunst

 

Herr Stock, Sie wissen, dass die Neugestaltung des Altarraums des Eichstätter Doms gerade ein großes Streitthema ist, und haben sich am vorigen Wochenende selbst im Dom umgesehen. Haben Sie sich eine Meinung gebildet?

Wolfgang Jean Stock: Ja, habe ich. Und ich sage, dass ich von der künstlerischen Lösung überzeugt bin. Ich finde die Wahl des Materials richtig, weil es einen sympathischen Kon-trast zu dem Material des alten Doms herstellt. Und ich finde die Größe des Leuchters völlig in Ordnung, weil dieser künstlerische Eingriff in die vorhandene historische Architektur ja auch zur Geltung kommen muss. Mit kleinen Objekten wäre da gar nichts auszurichten. Die Gestaltung mit den gestaffelten Röhren finde ich gut, denn dieses neue Objekt soll ja im Kirchenraum auf sich aufmerksam machen, und Neues erfahren werden können.

 

Genau das lässt sich aber durchaus in Frage stellen. Denn dieser umstrittene Leuchter ist ja nicht nur als Kunstwerk zu sehen, er soll eine Funktion erfüllen. Es stellt sich in Eichstätt konkret die Aufgabe, wie man während der Liturgie eine schwere Kerze in 2,70 Meter Höhe hinaufwuchtet – das ist eine Frage der Funktionalität und der Praktikabilität. Wie beurteilen Sie die Relation zwischen der Kunst und der Funktion? Zählt die Kunst mehr oder die Funktion, oder ist das ein stetes Ringen?

Stock: Es ist immer ein Ringen, das stimmt. Wobei nach meinem Verständnis die Liturgie im Vordergrund stehen muss.

 

Worin besteht das Ringen konkret?

Stock: Das Ringen besteht darin, einen angemessenen Ausdruck der Kunst für Liturgie finden zu müssen. Ich gestehe zu, dass die Bestückung des Osterleuchters in Eichstätt wohl nicht ganz einfach ist. Aber ich finde das Objekt, so groß es eben ist, auch entsprechend kraftvoll, ich finde es gut. Ich bin mit dem künstlerischen Werk von Rudolf Bott sehr vertraut. Nicht umsonst hat Bott 2011 auch den Kunstpreis unserer Gesellschaft erhalten, den wir alle drei Jahre vergeben. Ich finde, dass er immer wieder sehr konzentriert und ernsthaft auf eine Situation antwortet.

 

Haben Sie denn Verständnis dafür, dass sich Kirchenbesucher damit nicht anfreunden können? Was können Sie diesen Menschen sagen?

Stock: Ich habe immer Verständnis dafür, dass Menschen irritiert sind, wenn in einem gewohnten historischen Kirchenraum neue Dinge hineinkommen. Ich kann verstehen, dass ihnen die Objekte erst einmal fremd sind. Es kommt eben immer darauf an, das entsprechend zu vermitteln. Man sollte die Menschen nicht überfallen. Wenn neue Objekte im Kirchenraum so irritierend wirken, sollte man auf Kritik so sachlich und so aufklärend wie möglich eingehen.

 

Das ist genau ein konkreter Vorwurf vieler Eichstätter an die Kirchenoberen: Sie fühlen sich von dieser Kunst „überfallen“, es gab keine Hinführung dazu.

Stock: Ich möchte mich aus den Eichstätter Einzelheiten heraushalten, weil ich diese nicht von Anfang an habe verfolgen können. Wenn wir in unserer Galerie in München eine Ausstellung eröffnen, gibt es immer einen einführenden Vortrag dazu, und die Menschen haben die Möglichkeit mit den Künstlern zu sprechen. Damit haben wir immer viel Verständnis und Akzeptanz erreicht.

 

In eine Ausstellung geht der Besucher aber freiwillig und, weil er Kunst betrachten will. Ein Kirchenbesuch hat andere Beweggründe, hier geht es um Andacht und um sehr persönliche Empfindungen. Muss christliche Kunst in der Kirche nicht besonders sensibel sein?

Stock: Ja, Sie haben Recht. Das ist eine ganz heikle Sache. Das kommt daher, weil bis in die letzte Nachkriegszeit hinein das Allgemeinverständnis von christlicher Kunst bis auf ganz wenige Ausnahmen eine sehr bildhafte, fast illustrative Kunst gewesen ist. Heute gibt es viele Künstler, die sich mit spirituellen Dingen auseinandersetzen, die sich im Sinne einer christlich-abendländischen Tradition sehen und fühlen, aber eben mit den Mitteln ihrer Zeit auf diese Themen reagieren wollen. Das ist natürlich für gläubige Menschen, die an eine Tradition gewöhnt sind, unter Umständen erst einmal sehr schwierig.

 

Wie kann man nun den Menschen entgegenkommen?

Stock: Die christliche Kunst der Gegenwart unterscheidet sich sehr von den traditionellen Bildwerken. Es wird heute sehr viel mit Zeichen und Symbolen gearbeitet, teilweise auch sehr expressiv. Das sind künstlerische Ausdrucksformen unserer Zeit. Da kommt es sehr darauf an, dass derjenige, der diese neue Kunst im christlichen Lebensraum zeigt, versucht, den Menschen den Wert, die Qualität und die Berechtigung dieser Dinge zu vermitteln. Diese Vermittlungsarbeit ist ganz wichtig und wesentlich.

 

Ein weiterer Streitpunkt ist das Geld. Kirche, Kunst und Kosten sind ja allgemein und aktuell ein strittiges Themenfeld. Gerade weil die neue Kunst im Eichstätter Dom vom Kirchenvolk nicht angenommen wird, wird nun von vielen auch kritisiert, ob man die 130 000 Euro nicht sinnvoller oder sozialer hätte anlegen können und müssen. Finden Sie diesen Einwurf gerechtfertigt?

Stock: Gerade die katholische Kirche hat es über viele, viele Jahrhunderte verstanden, Qualität entsprechend zu fördern. Das Sympathische an der katholischen Kirche ist ja, dass sie immer versucht hat, durch Kunst aus der jeweils eigenen Zeit ihre Kirchen entsprechend auszustatten und da eben nicht zu knausern. Das hat unsere Kultur im Abendland wesentlich mitgeprägt. Nachdem das Material dieser neuen Einrichtung im Eichstätter Dom nicht gerade billig ist, ist es verständlich, dass eine solche Arbeit auch etwas kostet. Ich denke, bei entsprechender Qualität sollte man bei der Kunst, auch im Eichstätter Dom, nicht auf jeden Cent schauen.

 

Das Interview führte

Eva Chloupek.