Die Revolution frisst ihre Kinder

27.05.2008 | Stand 03.12.2020, 5:53 Uhr

Revolutionäre und Rivalen: Robespierre (Kai Christian Moritz, links) und Danton (Klaus Müller-Beck, der von 1996 bis 2001 am Theater Ingolstadt engagiert war). - Foto: Von Traubenberg

Ingolstadt (DK) Die Republik ist eine Baustelle. Fünf Jahre nach dem Ausbruch der Französischen Revolution zeigt sich das ganze Ausmaß der schlampigen Arbeiten, der ständigen Provisorien, der übertünchten Fassaden. Überforderte Bauherren waren hier am Werk: Man hat die Monarchie gestürzt und den Adel in die Flucht geschlagen oder beseitigt.

Das ist ein starkes Bild zu Beginn: Wenn Bernhard Stengele, Schauspieldirektor des Würzburger Mainfranken Theaters, seine Revolutionäre vor dem eisernen Vorhang zu einer zerklimperten Marseillaise mit Kraft und Leidenschaft singen lässt. Scheinbar einig in Text und Melodie. In ihrem Bestreben. Bis sich in den Ruf nach den Waffen forsch ein provozierendes "All You Need Is Love" mischt. Danton – vermittelt uns dieses Bild auf so eindringliche wie gewitzte Weise – trotzt der Revolutionsregierung. Hat genug von dem Terror der Guillotine, wie ihn Robespierre forciert ("Die Waffe der Republik ist der Schrecken"). Danton ist müde, voller Weltekel, betäubt seine zunehmenden Desillusionen mit Triebbefriedigung. Will sich retten in Gleichgültigkeit – und ist doch längst verloren.

Der 22-jährige Georg Büchner hat schon im Titel seines Dramas von 1835 das Schicksal seines Protagonisten vorweggenommen: "Dantons Tod" erzählt vom Scheitern einer Utopie, von Gewalt, die Gewalt gebiert, von Macht und Moral, vom Chaos des Wünschens, vom Terror des Herrschens (auf den schon das Ego-Shooter-Spiel des Anfangs verweist). Am Ende ist Danton tot. Regisseur Bernhard Stengele hat die Geschichte an die Gegenwart angedockt, hat Büchners Montagetechnik (er hatte seinem Personal bereits Originalzitate in den Mund gelegt) fortgeschrieben, hat das sprachlich sperrige Original mit modernen Texten verwoben, Bibelstellen wie Ausrufezeichen gesetzt. Herausgekommen ist ein Theaterabend, der mit eingängigen Bildern, hoher Musikalität und einer geschlossenen Ensembleleistung zu beeindrucken vermag, aber doch an vielen Stellen (durch Doppelungen und Spiegelungen gegenwärtiger Debatten, Exkurse und Parolen) sehr papieren klingt, überfrachtet wirkt und mit knapp drei Stunden definitiv zu lang ist. Etliche Zuschauer gaben bereits in der Pause auf.

Das ist schade, denn gerade die Bilder sind es, mit denen der Regisseur zu überzeugen vermag. Von Gesine Pitzer hat er sich einen Raum aus Baugerüsten auf die Bühne setzen lassen, der zunächst noch mit Leinwänden und Projektionen von abblätternder Fassadenpracht überdeckt ist. Doch der Auflösungsprozess schreitet voran. Hinter transparenten Schichten lauern Spitzel und Verräter. Wer an den dünnen Wänden zerrt, sie niederreißt, enthüllt den maroden Staat.

Die Kompositionen von Paul Amrod und Katia Bouscarrut, die das Spiel live begleitet, strukturieren das Textkonvolut. Und die zierliche Pianistin in ihrem Trikolore-Outfit sorgt für anrührende Momente, wenn sie sich in ihrem weißen Flügel verkriecht.

Großes Lob gilt dem Ensemble, das den Text mit großer Klarheit und kühler Emphase spricht. Allen voran Klaus Müller-Beck, der von 1996 bis 2001 am Theater Ingolstadt engagiert war, in der Titelrolle und Kai Christian Moritz als puritanischer, argwöhnischer, zaudernder Robespierre.

In der kommenden Saison steht "Dantons Tod" auch auf dem Ingolstädter Spielplan.