Brissago
Der Natur so nah

Vom Fluss bis zum Meer: Ein neuer Bildband stellt faszinierende Bauten am Wasser vor

03.04.2018 | Stand 02.12.2020, 16:37 Uhr
Mit Aussicht: Privathaus in Brissago am Lago Maggiore von Wespi de Meuron Romeo Architekten. −Foto: Hannes Henz

Brissago (DK) Gar nicht so selten werden Ostereier so dermaßen gut versteckt, dass man sie erst Monate, manchmal Jahre später bei der Gartenarbeit findet.

Am beschaulichen Beaulieu River in der südenglischen Grafschaft Hampshire kann das kaum passieren. Das Ei, das dort mitten im Fluss liegt, ist definitiv nicht zu übersehen - und dazu noch bewohnbar. Zwei, drei Menschen ohne Berührungsängste könnten sich im Inneren sogar zum Essen treffen, denn das sechs Meter lange "Exbury Egg" besitzt neben einer Hängematte und einem Tisch auch einen kleinen Herd. Der Künstler Stephen Turner dachte sich dieses Projekt aus, um neue Lebensmöglichkeiten in der Natur zu erforschen. Ein Jahr hat er im schwimmenden Ei aus wiederverwendetem Zedernholz verbracht. Damit bildet Turners Gehäuse die ökologisch raffinierte Ausnahme in einem üppigen Phaidon-Fotografieband über das vorwiegend erlesene Wohnen am Wasser.

Unwillkürlich denkt man an die Loire-Schlösser oder Venedigs Paläste, die einen beträchtlichen Reiz aus ihrer Lage am Fluss oder in der Lagune beziehen. Es geht auch bescheidener, keine Frage, doch sind erfinderische Architekten erst einmal losgelassen, kennen sie keine Grenzen mehr. Das Spiel mit dem Blick aufs Wasser, den sich ständig verändernden Lichtreflexen an der Oberfläche und mit dieser einzigartigen Kulisse facht die Fantasie an. Und moderne Technik macht fast alles möglich.

Der für seine puristisch reduzierten Villen bekannte Brite John Pawson etwa hat 2016 luftig-leicht anmutende weiße Kuben in die Felsen der griechischen Insel Paros gebaut. Die fügen sich in ihrer Klarheit wunderbar in die Vegetation ein, der Schattenwurf wurde - typisch Pawson - exakt eingeplant.

Überhaupt genügt es in vielen Fällen, einfach nur das Wasser richtig in Szene zu setzen, und da sind großzügige Fensterfronten die erste Wahl. Auf einer Insel im norwegischen Steigen-Schärengarten nahe der Lofoten hat Snorre Stinessen vier kompakte Ferienhäuser auf einer felsigen Mole errichtet, wobei die dem Meer zugewandte Seite komplett verglast ist. Wer sich ganz vorne an der Scheibe aufhält, glaubt, übers Wasser zu spazieren. Und selbst in einem klassischen Satteldachhaus lässt sich die gemauerte Fassade im Nachhinein durch eine Vollverglasung ersetzen. Rural Design Architects haben in den schottischen North-West Highlands ein altes Cottage am Rande eines Lochs mit relativ simplen Eingriffen so umgestaltet, dass man sich dort mittlerweile in einem lichtdurchfluteten Gewächshaus wähnt und meint, die Füße in den See tauchen zu können.

Spektakulär wird es dann freilich, wenn Stahlbetonkonstruktionen über umstürmten Klippen schweben - oder weit hinaus über einen Abgrund ragen wie der Pool einer Zwei-Flügel-Anlage mitten im mexikanischen Nationalpark Cumbres de Monterrey. Die entwarf der Pritzker-Preisträger Tadao Ando, in erster Linie haben ihn allerdings die Spiegelungen interessiert, und da ist das (Bau)Element Wasser unschlagbar. Man muss nur zusehen, dass das Licht für Poesie sorgt.

Am Wasser leben, Phaidon Verlag, 272 Seiten, 39,95 Euro.
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