Bayreuth
Das Opernhaus im Opernhaus

Mit Hasses "Artaserse" wurde die Wiedereröffnung des Markgräflichen Opernhauses Bayreuth gefeiert

13.04.2018 | Stand 23.09.2023, 2:54 Uhr
Verschachteltes Theatererlebnis: Eine Bühne steht auf der Bühne. −Foto: Foto: Turmes

Bayreuth (DK) Barocke Pracht, bayerische Festlichkeit: Ein bisschen ist es wie 1748, als das Markgräfliche Opernhaus Bayreuth erstmals eröffnet wurde.

Auch jetzt wieder ist es ein Triumph der Mächtigen und Berühmten, der Herrscher und der Elite. Markus Söder, der frischgebackene bayerische Ministerpräsident, sein Finanzminister, Landräte und Bundestagsabgeordnete, Intendanten, Schauspieler, prominente Musiker und natürlich Prinzen und Hochadel aus Preußen und Bayern: Sie alle steigen aus prachtvollen Karossen, in Frack, Smoking oder dunklen Anzügen gewandet, und prominieren von Schaulustigen aus Bayreuth bestaunt und im Glanz der Blitzlichter der Pressefotografen zur Wiedereröffnung des bedeutendsten barocken Theaterbaus der Welt. Es geht um sehen und gesehen werden, mehr Festinszenierung vor der Rampe, als großes Theater dahinter auf der Bühne. Denn der Anlass ist wichtig, 29,6 Millionen Euro wurden in den vergangenen sechs Jahren in das architektonische Juwel investiert.

Auch auf der Bühne eine Reminiszenz ans 18. Jahrhundert: Auf dem Programm steht "Artaserse" von Johann Adolf Hasse, genau die Oper, mit der vor 270 Jahren das Theater eröffnet wurde. Zu sehen ist allerdings keineswegs eine bloße Wiederauflage des barocken Repräsentationsstücks. Die Bayerische Theaterakademie geht einen anderen, vielleicht allzu ambi- tionierten Weg. Sie möchte alles auf einmal: die Anbindung an die große Vergangenheit des Opernhauses, die Reflektion auf seine Baugeschichte, den Opernstoff, die schöne Musik von Hasse und vieles mehr. Denn die Studenten haben die Oper, aber auch eine von der Markgräfin Wilhelmine selbst komponierte Arie und weitere Musiknummern von Hasse zu einem neuen Werk zusammengefügt - eine Art modernes, barockes Pasticcio, ein neues Gericht komponiert aus alten Zutaten. In einem Prozess der mehrfachen Überblendung der Geschehnisse wird nicht nur die tragische Geschichte um Arbaces erzählt, der im alten Persien hingerichtet werden soll für einen Königsmord, den nicht er, sondern sein Vater begannen hat. Sondern im Zentrum steht vielmehr die schwierige Jugend der beiden Kinder des preußischen Soldatenkönigs, der Bayreuther Markgräfin Wilhelmine und ihres Bruders Friedrich der Große.

Das alles kann nur funktionieren durch eine Erzählerin, die alte Wilhelmine, wunderbar verkörpert durch die bedeutende, inzwischen fast 78-jährige Wagner-Sopranistin Anja Silja. Die Ingolstädter haben wahrscheinlich noch beste Erinnerungen an ihren grandiosen Auftritt im Jahr 2002 in der Oper "Jenufa" im Rahmen der Audi-Sommerkonzerte.

In der Inszenierung von Balázs Kovalik ist sie das tragende, das alles verbindende Element. Ihr würdevoll und sensibel vorgetragener Lebensbericht der Wilhelmine, beruhend auf den Memoiren und Briefen der Markgräfin, hält die disparaten Versatzstücke der Inszenierung zusammen: die unterschiedlichen Arien, die Pantomime, in der der altpersische Mordfall angedeutet wird, die im Hintergrund projizierten, oft halbverdeckten Texte, die unterschiedlichen Welten, Preußen, Bayern, Altpersien.

Wunderbar ist das Bühnenbild nach einem Entwurf von Csaba Antal - nichts als ein verkleinerter Nachbau der Bühnenarchitektur des Markgräflichen Opernhauses. Die bewegliche Bühne auf der Bühne schafft Raum für erstaunliche Assoziationen, wirkt seitlich wie ein Gefängnis, durch das Wilhelmine klettert, von hinten gesehen ist es Szenerie für das Geschacher um die Heirat der Markgräfin nach Bayreuth. Der Soldatenkönig trampelt wie ein Vandale durch die Kulissen und zerstört sie. Friedrich muss mitansehen, wie sein Freund Hans Herrmann von Katte hingerichtet wird. Am Ende bleibt fast nur hölzernes Gestänge übrig im Theater. Friedrich hat sich erhängt (was in der Realität ja nicht passiert; aber hier geht es um Theater).

Gesungen und gespielt wird von den vier Studenten der Theaterakademie, durchweg fabelhaft, obwohl sie alle noch zu jung sind für wirklich charaktervolle, metallische Stimmen. Eindruck machen am meisten Pauline Rinvet als koloratursichere "Schwester" und Natalya Boeva als "Mutter". Unter der Bühne, auf gleicher Höhe wie das Publikum, verbreitet die Hofkapelle München unter der Leitung von Michael Hofstetter eher kultiviert tänzelnden als radikalen barocken Originalklang.

Leider wirkt die Inszenierung insgesamt zu akademisch blutleer, zu verkopft, als dass sie wirklich das Publikum mitreißen kann. Allzu oft bleibt das Bühnengeschehen rätselhaft, etwa wenn die Darsteller plötzlich mit Hundemasken singen. Und auch weil auf Übertitel verzichtet wurde. So bleibt hauptsächlich der Eindruck einer hinreißenden, mit brüchiger Stimme ein Rezitativ andeutenden, verzweifelten Wilhelmine, dargestellt von Anja Silja, zurück. Und vom großen Star des Abends: dem fantastisch klingenden, lindgrün schimmernden, höfisch-prachtvollen Opernhaus selbst.

Weitere Vorstellungen, in Bayreuth: 14. April, 19 Uhr; 15. April 15.30 Uhr. Im Cuvilliés-Theater München: 11., 13. ,15. Mai, jeweils 19.30 Uhr. Kartentelefon: (089) 21851970.
Für Besucher ist das Opernhaus vom 17. April an wieder zugänglich. Geöffnet ist das Haus von April bis September täglich von 9 bis 18 Uhr, von Oktober bis März von 10 bis 16 Uhr. Die Eintrittskarte kostet 8 Euro.

Jesko Schulze-Reimpell