Ingolstadt
"Ich bin der Leiermann in der 'Winterreise' ''

24.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:09 Uhr

Schubert in neuem Klanggewand: Daniel Behle (Mitte) hat den Zyklus "Winterreise" für Sänger mit Klaviertrio-Begleitung bearbeitet. In Ingolstadt tritt er am Montag um 20 Uhr beim Konzertverein zusammen mit dem Oliver-Schnyder-Trio auf. - Foto: Borggreve

Daniel Behle ist einer der vielseitigsten Tenöre unserer Zeit. Er gilt als herausragender Liedsänger, gastiert aber auch bei den Wagner-Festspielen in Bayreuth. In Ingolstadt wird er Schuberts "Winterreise" in einer eigenen Bearbeitung vortragen.

Basel/Ingolstadt (DK) Vor zwei Jahren hat der berühmte lyrische Tenor Daniel Behle einen geradezu sensationellen Liederabend beim Konzertverein Ingolstadt gegeben. Damals sang er die "Schöne Müllerin" von Franz Schubert - fast so, als würde er ein kleines Drama aufführen, das mit einem Selbstmord endet. Am kommenden Montag, 20 Uhr, gastiert der Sänger erneut beim Konzertverein, diesmal mit Schuberts "Winterreise". Den Liederzyklus trägt Behle in einer eigenen Bearbeitung vor: Statt von einem Soloklavier wird er von einem Klaviertrio begleitet, dem Oliver-Schnyder-Klaviertrio.

 

Herr Behle, Sie sind Sänger, Komponist und ein bisschen auch Unternehmer, denn Sie produzieren auch Ihre eigenen CDs. Überfordert Sie das nicht?

Daniel Behle: Nein. Dass ich jetzt schon an meiner 13. Solo-CD arbeite, ist meiner inneren Uhr geschuldet. Da gibt es keinen Druck von außen. Es macht einfach unglaublich viel Spaß.

 

Wenn Sie zum Beispiel eine eigene CD produzieren: Ist es nicht besser, wenn noch ein unabhängiger Produzent auf das Ergebnis achtet?

Behle: Das ist sowieso der Fall. Jede neue CD wird von mir bis zu einem Jahr gehört und verbessert. Erst danach biete ich die Aufnahme den Plattenlabels an.

 

Sind Sie gern Ihr eigener Herr?

Behle: Ja. Ich bin nicht exklusiv an ein Plattenlabel gebunden und kann über meine Projekte frei entscheiden. Muss sie allerdings auch größtenteils selber finanzieren. Die "Gluck Arias" zum Beispiel hatten mich 2013 rund 30 000 Euro gekostet. Trotzdem hat es sich gelohnt, da mir diese Aufnahme viele Türen geöffnet hat. Und im Grunde bekommen Exklusivkünstler ihre Platte vom Label auch nur vorgestreckt und dürfen die Produktionskosten nach und nach über Konzertgagen abbezahlen.

 

Das heißt, dass CD-Produktionen meist Geld kosten und nichts einbringen?

Behle: Ich sehe das anders. CDs bringen Prestige, und Prestige bringt Konzerte. So kommt das Geld wieder rein, und am Konzertabend werden in der Tat noch viele CDs verkauft. Das freut das Label.

 

Und Einnahmen über Streamingdienste und Downloads?

Behle: Die sind im Klassikmarkt eher gering. Ich mache CDs aus Freude an der Musik. Dazu ist für mich jede dieser Produktionen eine Art Katharsis. Man geht ins Studio und sieht, wo man steht und was sich entwickelt hat. Wenn ich etwa an 2008 denke, dann fällt mir sofort meine Debüt-CD ein, an all die Opernauftritte dagegen kann ich mich kaum erinnern. Diese Flüchtigkeit stört mich. Da beneide ich Architekten, die Häuser bauen, die einfach stehen bleiben. In der Musik gilt allzu oft: Nach der Oper ist vor der Oper - frei nach Sepp Herberger.

 

In Ingolstadt singen Sie die "Winterreise" in einer neuen Fassung, in der die Liedstimme von einem Klaviertrio begleitet wird. Darf man so hart in Schuberts Konzept eingreifen?

Behle: Das ist die Frage. Ich finde es meist eher zweifelhaft, mit einer Bearbeitung die Aussage eines großen Komponisten infrage zu stellen. Deshalb habe ich auch die "Winterreise" als Doppel-CD in zwei Fassungen herausgebracht, um sie zusätzlich auch in ihrer originalen Form zu präsentieren, einfach nur mit Singstimme und Klavierbegleitung. Der ursprüngliche Auslöser für diese Bearbeitung war, dass es eben schon so viele großartige Aufnahmen der "Winterreise" gibt.

 

Was ist denn so viel besser an der Version mit Streichtrio?

Behle: Ich bin eigentlich durch meine eigene Interpretation, mein eigenes Verständnis dieser Geschichte darauf gekommen. Ich vertrete die Ansicht, dass ich als Sänger der Leiermann selbst bin. Für mich endet der Zyklus auch mit dem vorletzten Lied. Und im Unterschied zur "Schönen Müllerin", wo die Ereignisse im Moment passieren, brauche ich in der "Winterreise", die zurückliegende Ereignisse reflektiert, die grundsätzlich weniger impulsiv sind, eine Idee, damit der Abend nicht "im Schnee versinkt". Im Gegensatz zu reinen Arrangements, etwa für Orchester, halte ich deshalb ein Klaviertrio für sehr legitim, da man die Möglichkeit hat, das Rückgrat der Begleitung, das Klavier, gleichwohl unangetastet zu lassen und mit den zwei Streichern zusätzliche Akzente zu setzen, die den Fluss des Originals nicht verletzen, aber das Erlebte intensiver machen.

 

Aber wie sieht das konkret aus?

Behle: Ein Beispiel: Das Klavier ist ein Schlaginstrument und transportiert Emotionen über den Anschlag und nicht über die Entwicklung des Tones. Das legitimiert für mich die Streicher, die hier beginnen zu singen. Ich habe de facto zwei Sänger als Schattenprotagonisten neben mir, die zusätzliche Emotionen nach außen transportieren. Es geraten viele Dinge stärker, klarer, manchmal auch intensiver als im Original.

 

Zuletzt haben Sie in Ingolstadt die "Schöne Müllerin" gesungen. Wie unterscheiden sich die beiden tragischen Liederzyklen?

Behle: Bei der sommerlichen "Müllerin" ist der heldische Charakter viel stärker. Im Winter kommt man aber mehr zu sich, da gibt es, Statistiken zufolge, auch die meisten Selbstmorde. Die "Winterreise" schildert das Innerste, was Menschen bewegt. Der Müller verliebt sich impulsiv in ein Mädchen, das sich wiederum in einen anderen Mann verliebt. Bei der "Winterreise" macht ein Mann sich ein Leben lang Vorwürfe, dass die Dinge so liefen, wie sie nun einmal geschehen sind. Ein Selbstmord ist angedeutet, der Reisende hat den allerdings, meiner Meinung nach, nicht durchgezogen und wird zum wunderlichen Alten, dem Leiermann, der ewig um das gleiche Thema kreist. Kein Mensch hört da mehr zu.

 

Steht Ihnen die "Winterreise" oder die "Müllerin" näher?

Behle: Heute vielleicht eher die "Winterreise". Man muss bei der "Winterreise" die Metaebene als Künstler hinbekommen. Besser man ist reifer und älter. Für mich sind immer wieder Vorträge der "Winterreise" spannend, bei denen der Sänger vielleicht den Zenit seiner sängerischen Möglichkeiten schon überschritten hat: Diese Zerbrechlichkeit und Gebrochenheit ist bei diesem Zyklus besonders faszinierend.

 

Sie haben gerade schon erwähnt, dass es so viele sehr gute Interpretationen der "Winterreise" gibt, sodass es schwierig ist, seinen eigenen Ton zu finden. Wie sehen Sie das heute?

Behle: Für mich als komponierenden Sänger ist eine Bearbeitung wohl die beste Variante gewesen, um diesen Zyklus so persönlich wie möglich neu zu interpretieren. Man kann die "Winterreise" sehr unterschiedlich singen, sehr zurückhaltend oder sehr kämpferisch. Mal sehen, welche Version wir für Ingolstadt anbieten.

 

Das Interview führte

Jesko Schulze-Reimpell.

 

 

ZUR PERSON

 

Daniel Behle kam 1974 in Hamburg zur Welt. Nach einem Studium der Posaune und der Schulmusik begann er im Alter von 22 Jahren Gesangsstunden bei seiner Mutter, der bekannten hochdramatischen Sopranistin Renate Behle, zu nehmen. Gleichzeitig studierte er Komposition. Nach Engagements in Oldenburg, Wien und Frankfurt arbeitet Behle nun freischaffend.

 

Karten für das Konzert im Ingolstädter Festsaal gibt es in den DK-Geschäftsstellen und unter Telefon (08 41) 8 81 57 98.